Organspende: Bundesrat bringt Gesetzentwurf für Widerspruchslösung ein
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Der Bundesrat hat am Freitag beschlossen, einen Gesetzentwurf zur Organspende in den Bundestag einzubringen. Dieser sieht vor, dass jeder Organspender ist, der nicht aktiv widerspricht. Parallel wagen auch die Bundestagsparteien einen Vorstoß.

Die Bundesländer starten einen neuen Versuch, die Widerspruchslösung bei der Organspende im Gesetz zu verankern. Eine Initiative von Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein hat am Freitag eine Mehrheit in der Länderkammer bekommen und wird nun in den Bundestag eingebracht.

Bisher gilt in Deutschland bei der Organspende die sogenannte Entscheidungslösung. Das heißt, dass nur Menschen als Organspender in Frage kommen, die dem zu Lebzeiten zugestimmt haben – etwa durch das Tragen eines ausgefüllten Organspendeausweises. Der Gesetzentwurf des Bundesrats sieht dagegen vor, dass jede in Deutschland gemeldete Person, die mindestens 14 Jahre alt und entsprechend einsichtsfähig ist, im Grundsatz als Organspender gilt – es sei denn, sie widerspricht dem (sogenannte Widerspruchslösung). Dafür soll vor allem das Transplantationsgesetz (TPG) geändert werden.

Seit Jahren zu wenig Spenderorgane

Ziel der Neuerung ist es nach Angabe der Initiatoren, die Situation in Deutschland beim Thema Organspende zu verbessern. Die Entscheidungslösung, so heißt es in der Entwurfsbegründung, habe trotz intensiver und langjähriger Aufklärungs- und Informationskampagnen durch Bund und Länder nicht erreichen können, dass signifikant mehr Menschen eine Entscheidung träfen und dokumentierten, ob sie Organe spenden wollen oder nicht. Die Widerspruchslösung solle dazu beitragen, die Zahl der Organspenden in Deutschland zu steigern und Wartezeiten auf ein Organ zu verkürzen.

Laut Erhebungen der Deutschen Stiftung für Organtransplantation warten deutschlandweit 8.385 Patientinnen und Patienten auf Spenderorgane. Im Jahr 2023 seien allerdings nur 2.877 Organe gespendet worden. Bei weniger als 20% der Fälle möglicher Organspenderinnen und -spender liege ein schriftlich dokumentierter Wille zur Organspende vor.

"Die Zahlen bewegen sich seit Jahren auf einem vergleichbaren Niveau und das ist deutlich zu wenig", sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), der den Entwurf in den Bundesrat eingebracht hatte, in einer Presseerklärung. Der massive Organmangel bedeute für viele Menschen am Ende den Tod. "Vor diesem Hintergrund bin ich schon lange zu der Überzeugung gelangt, dass wir hier mit der Entscheidungslösung nicht weiterkommen. Daher setze ich mich so massiv für die Widerspruchslösung ein."

Transplantationsärzte müssen Informationen einholen

Die Widerspruchslösung soll in einem neu gefassten § 1 TPG verankert werden. Danach ist grundsätzlich jeder Organspender – das Recht, sich gegen eine Organspende zu entscheiden, soll aber unangetastet bleiben. Durch Eintrag in das Organspende-Register des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte oder durch eine anderweitige schriftliche oder mündliche Willenserklärung kann man verhindern, dass die eigenen Organe nach dem Tod entnommen werden. Die Widerspruchsmöglichkeiten sollen nach der Entwurfsbegründung niedrigschwellig sein. Es solle auch Angebote für Menschen geben, die sich nicht in das Onlineregister eintragen könnten oder wollten. Die Entscheidung könne auch einer Vertrauensperson übertragen werden.

Zudem regelt ein neuer § 4 detailliert die Pflichten der behandelnden Ärzte und Ärztinnen: Diese müssen durch eine technische Abfrage des Registers den Willen des Verstorbenen ermitteln. Außerdem müssen sie sich bei den Angehörigen erkundigen, ob der potenzielle Spender der Organentnahme widersprochen hat. Sollte beides nicht der Fall sein, dürfen die Organe verwendet werden. Besondere Regeln gelten für Minderjährige und Menschen, denen die nötige Einsichtsfähigkeit für eine Entscheidung fehlt.

Meldebehörde soll jährlich Daten liefern

In einem neuen § 2 TPG ist zudem eine umfassende Informationskampagne vorgesehen, um die Menschen über die Änderung zu informieren. Es soll regelmäßig, multimedial und ergebnisoffen informiert werden. Dazu verpflichtet das Gesetz neben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und anderen Behörden auch Hausärztinnen und Hausärzte, Krankenkassen und private Krankenversicherer.

Jeder potenzielle Organspender soll nach dem Entwurf innerhalb von sechs Monaten dreimal über die Neuerung informiert werden. Hierfür sollen die Meldebehörden dazu verpflichtet werden, die Namen, Geburtsdaten, derzeitige und vorherige Anschrift sowie Informationen über die gesetzlichen Vertreter aller in Deutschland gemeldeten Personen über 14 Jahren an die BZgA zu übermitteln. Später soll das Meldeamt jährlich die Daten der Kinder nachliefern, die in dem Jahr 14 Jahre alt werden. Laut Entwurf soll zu diesem Zweck auch die Bundesmeldedatenübermittlungsverordnung geändert werden.

Die Informationskampagne soll sechs Monate früher starten als die Widerspruchsregelung, um potenziellen Organspendern genug Zeit für einen Widerspruch einzuräumen.

Letzter Entwurf 2020 scheiterte: Stimmung nun anders?

Über die Widerspruchslösung wird schon seit Jahren debattiert. Zuletzt war 2020 ein Entwurf im Bundestag mit 292 zu 379 Stimmen durchgefallen. Ganz ähnlich wie der aktuelle Entwurf der Länder hatte dieser eine sogenannte doppelte Widerspruchslösung vorgesehen, bei der Betroffene der Organentnahme entweder gegenüber den zuständigen Behörden widersprechen oder gegenüber ihren Angehörigen ihren entgegenstehenden Willen äußern können.

Seither habe sich die Stimmung in der Bevölkerung gewandelt, heißt es in der Entwurfsbegründung. Laut einer Studie der BZgA aus dem Jahr 2022 stünden rund 84% der Menschen in Deutschland einer Organ- und Gewebespende eher positiv gegenüber. Noch 2020 entschied die Mehrheit im Bundestag für einen Parallel-Entwurf, der durch Informationskampagnen die Bereitschaft zur Organspende erhöhen sollte, ansonsten jedoch an der Entscheidungslösung festhielt.

Kritiker sehen in der Widerspruchslösung einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht. Der Grundrechtseingriff sei schon allein deshalb stärker als bei der Entscheidungslösung, weil den Bürgerinnen und Bürgern die Last des Widersprechenmüssens aufgebürdet würde. Schweigen als Zustimmung zu deuten, laufe grundsätzlichen rechtlichen Wertungen zuwider. Zudem sei nicht gesagt, dass durch die Widerspruchslösung tatsächlich künftig mehr Spenderorgane in Deutschland zur Verfügung stünden. Höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Thema gibt es nur wenig. Lediglich 1999 hat das BVerfG in einem Kammerbeschluss eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen und im Zuge dessen erklärt, dass es nicht gegen Grundrechte verstoße, dass zur Abwehr einer postmortalen Organentnahme auf der Grundlage von § 4 TPG ein Widerspruch erklärt werden müsse (Beschluss vom 18.02.1999 - 1 BvR 2156–98).

Die Widerspruchslösung gibt es derzeit in mehreren europäischen Ländern, darunter Spanien, Belgien und Österreich. Spanien gilt derzeit mit 47 Organspendern pro eine Million Einwohner als europäischer Spitzenreiter.

Sechs Abgeordnete bringen Gruppenantrag auf den Weg

Parallel zu dem Vorstoß der Bundesländer haben sich auch Abgeordnete der Bundestagsfraktionen darauf verständigt, einen gemeinsamen Antrag auf Einführung der Widerspruchslösung im Bundestag stellen zu wollen. An dem Gruppenantrag beteiligen sich mit Petra Sitte (Linke), Sabine Dittmar (SPD), Gitta Connemann (CDU), Armin Grau (Grüne), Christoph Hoffmann (FDP) und Peter Aumer (CSU) Abgeordnete aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD. Die Initiatoren des Entwurfs müssen nun um Mehrheiten im Bundestag werben.

Redaktion beck-aktuell, Denise Dahmen, 5. Juli 2024.