Vorwurf: Schlampige Prüfung der Konzernabschlüsse
Die Aktionäre der Wirecard AG hatten die beklagte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zunächst vor dem LG Stuttgart auf Schadenersatz in Anspruch genommen mit der Begründung, diese habe Konzernabschlüsse der Wirecard AG für mehrere Jahre ohne ordnungsgemäße Prüfung testiert. Deswegen seien Manipulationen der Jahresabschlüsse lange Zeit unentdeckt geblieben. Bei pflichtgemäßer Prüfung wären die Manipulationen früher entdeckt worden, was dazu geführt hätte, dass die Kläger keine Aktien der Wirecard AG gekauft hätten und ihnen durch den nach Entdeckung der Manipulationen eingetretenen Kursverfall kein Schaden entstanden wäre.
OLG Stuttgart entscheidet über Zuständigkeit
Das LG Stuttgart erklärte sich für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das seiner Ansicht nach zuständige LG München I. Dieses hat sich gleichfalls für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem OLG Stuttgart gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Denn haben sich verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, rechtskräftig für unzuständig erklärt, ist das zuständige Gericht durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht zu bestimmen. Nachdem die Klage zuerst beim LG Stuttgart erhoben worden war, war vorliegend das OLG Stuttgart zu dieser Entscheidung berufen.
Verweisung an LG München I bestätigt
Nach Ansicht des OLG Stuttgart ist das LG München I zum einen schon deswegen zuständig, weil das LG Stuttgart den Rechtsstreit mit bindender Wirkung dorthin verwiesen hat. Die Bindungswirkung entfalle nur, wenn eine Verweisung auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruhe oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehre und deswegen als willkürlich anzusehen sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Ausschließliche Zuständigkeit gegeben
Zum anderen sei das LG München I aber auch ausschließlich zuständig, so das OLG Stuttgart. Obwohl der Sitz der beklagten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Bezirk des LG Stuttgart liege, was normalerweise zur örtlichen Zuständigkeit des LG Stuttgart führe (allgemeiner Gerichtsstand), sei vorliegend ein besonderer, ausschließlicher Gerichtsstand in München begründet, der die Zuständigkeit des LG Stuttgart verdränge. Das LG München I sei nämlich nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ausschließlich zuständig.
Sitz betroffenen Emittenten ausschlaggebend
Nach dieser Vorschrift ist für Klagen, in denen ein Schadenersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation geltend gemacht wird, das Gericht am Sitz des betroffenen Emittenten, des betroffenen Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen oder der Zielgesellschaft ausschließlich zuständig, wenn sich dieser Sitz im Inland befindet. Das OLG hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen bejaht. Die von der beklagten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft verantworteten Bestätigungsvermerke auf den Konzernabschlüssen der Wirecard AG stellten öffentliche Kapitalmarktinformationen dar, weil die Vermerke für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmte Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten enthielten, die die Aktiengesellschaft als Emittent von Wertpapieren betreffen.
BGH-Grundsätze zu Gerichtsstand nicht anwendbar
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gelte die Einschränkung in § 32b Abs. 1 ZPO, wonach ein gemeinsamer ausschließlicher Gerichtsstand nur dann begründet ist, wenn die Klage zumindest auch gegen den Emittenten, den Anbieter oder die Zielgesellschaft gerichtet ist, in der vorliegenden Fallgestaltung nicht, so das OLG Stuttgart weiter. Damit sei das LG München I für die vorliegenden Rechtsstreite ausschließlich örtlich zuständig, obwohl die Klagen der Aktionäre nicht auch gegen die Wirecard AG gerichtet seien.
Keine Vorlage an BGH
Das OLG Stuttgart hat sich daran gehindert gesehen, die Sache dem BGH zur Entscheidung vorzulegen. Eine solche Vorlage würde voraussetzen, dass das OLG bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des BGH abweichen wolle. Dies sei nicht der Fall.