Verdachtsberichterstattung über tierschutzwidrige Nottötungen in Zuchtbetrieb rechtswidrig

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat die Untersagung der Berichterstattung eines Tierschutzvereins über tierschutzwidrige Nottötungen in einen Kaninchenzuchtbetrieb bestätigt. Der Verein habe gegen die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung verstoßen, da er den Betrieb konkret benannt und ihm keine Möglichkeit zur Stellungnahme gegen habe. Der Betrieb sei dadurch in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt.

Berichtet über "Tierquälerei" und "tierschutzwidrige Nottötungen"

Der Tierschutzverein hatte auf seinem Internet-Presseportal und über den sogenannten ots-Ticker über "Tierquälerei", "schockierende Zustände" und "tierschutzwidrige Nottötungen" im Kaninchenzuchtbetrieb berichtet. Dabei wurde der Name der Firma, der Betriebsstandort und die dort gezüchtete Kaninchenrasse genannt. Eine vorherige Anhörung oder Konfrontation der hiesigen Kläger – des Kaninchenzuchtbetriebs und dessen Gesellschafter – mit den Vorwürfen hat nicht stattgefunden.

LG untersagte Äußerungen wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten

Die Kläger erwirkten eine einstweilige Verfügung gegen den Verein und seinen Vorsitzenden, mit der das LG den Beklagten untersagte, identifizierend über den Zuchtbetrieb zu berichten. Die Äußerungen verstießen laut LG gegen die Vorgaben der Verdachtsberichterstattung und griffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläger ein. Die Beklagten brachten hiergegen im Wesentlichen vor, dass die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung vorliegend keine Anwendung finden könnten und die Kläger schon wegen des erheblichen öffentlichen Interesses eine wahrheitsgemäße Berichterstattung hinzunehmen hätten, zumal sie lediglich in ihrer Sozialsphäre betroffen seien.

Grundsätze der Verdachtsberichterstattung auch auf Kritik an Unternehmen anzuwenden

Dem folgte das OLG nicht. Der Tierschutzverein, der für sich das Grundrecht der Pressefreiheit in Anspruch nehme, müsse sich – insbesondere, weil der Vorsitzende selbst Journalist sei – an den für die Presse geltenden besonderen Sorgfaltspflichten festhalten lassen. Weiter seien die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung nicht nur auf die Berichterstattung über Straf- und Ermittlungsverfahren anzuwenden, sondern auch auf Kritik an Unternehmen und die dafür Verantwortlichen sowie auf die Berichterstattung über rechtswidriges Verhalten.

Bei Verdacht einer Straftat ist Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben

Die Verdachtsberichterstattung liege insbesondere darin, dass beim Hauptvorwurf der tierschutzwidrigen Tötung kein endgültig feststehender Sachverhalt, sondern ein bloßer Verdacht geäußert wurde Zwar gehöre es zu den legitimen Aufgaben der Medien, Verfehlungen – auch konkreter Personen – aufzuzeigen. Bestehe allerdings erst der Verdacht einer Straftat, so seien die Medien bei besonderer Schwere des Vorwurfs angesichts des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die persönliche Ehre in besonderem Maße zu sorgfältigem Vorgehen verpflichtet. Insofern hätten die Beklagten vor einer Veröffentlichung eine Stellungnahme der Kläger einholen müssen. Dies sei vorliegend nicht erfolgt.

OLG Stuttgart, Urteil vom 01.02.2023 - 4 U 144/22

Redaktion beck-aktuell, 2. Februar 2023.