OLG Stuttgart: Flucht vor der Polizei kann verbotenes Kraftfahrzeugrennen sein

Auch Fälle der sogenannten "Polizeiflucht" können dem seit 13.10.2017 geltenden Straftatbestand "Verbotene Kraftfahrzeugrennen" unterfallen. Dies hat das Oberlandesgericht Stuttgart mit jetzt veröffentlichtem Beschluss vom 04.07.2019 entschieden. Sowohl der Gesetzeswortlaut als auch die Begründung würden dafür sprechen, auch die "Polizeiflucht" als tatbestandsmäßig anzusehen (Az.: 4 Rv 28 Ss 103/19).

Sperrfrist von neun Monaten festgesetzt

Der Angeklagte im zugrundeliegenden Fall war vom Amtsgericht Münsingen am 02.10.2018 wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt worden. Ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen und sein Führerschein wurde eingezogen. Zudem wurde eine Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von neun Monaten festgesetzt. Hiergegen hat der Angeklagte "Sprungrevision" zum OLG eingelegt, die jedoch ohne Erfolg blieb.

Flucht vor Streifenwagen

Nach den vom OLG für rechtsfehlerfrei befundenen Feststellungen des AG flüchtete der Angeklagte am 01.05.2018 gegen vier Uhr in Lichtenstein-Honau mit seinem Pkw vor einer Streifenwagenbesatzung der Polizei, welche ihn einer Verkehrskontrolle unterziehen wollte und ihm deshalb ein Haltesignal anzeigte. Nach Erkennen des Streifenwagens und des Haltesignals beschleunigte der Angeklagte sein Fahrzeug, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und dadurch die ihn nun mit Blaulicht, Martinshorn und dem Haltesignal "Stopp Polizei" verfolgenden Polizeibeamten abzuhängen.

Belange anderer Verkehrsteilnehmer waren ihm gleichgültig

Die zulässige Höchstgeschwindigkeit erheblich überschreitend und unter Missachtung der Sicherheitsinteressen anderer Verkehrsteilnehmer fuhr er mit weit überhöhter Geschwindigkeit durch den Ort Engstingen. Die Gegenfahrbahn nutzend fuhr er über eine "Rot" anzeigende Ampel und setzte seine Fahrt durch Engstingen bei erlaubten 50 Kilometern pro Stunde mit mindestens 145 Kilometern pro Stunde fort, wobei er von einer Geschwindigkeitsmessanlage „geblitzt“ wurde. Nach dem Ortsausgang fuhr er auf der teils kurvenreichen und unübersichtlichen Bundesstraße 313 – bei partieller Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 Kilometern pro Stunde – mit einer Geschwindigkeit von mindestens 160 bis 180 Kilometern pro Stunde. Hierbei schnitt er an unübersichtlichen Stellen die Kurven. Ihm waren allein um des schnelleren Fortkommens willen die Belange anderer Verkehrsteilnehmer gleichgültig. Die ihn verfolgenden Polizeibeamten konnten die Distanz zum Fahrzeug des Angeklagten nicht verringern, weil dies ohne erhebliches Risiko für sie und andere Verkehrsteilnehmer nicht möglich war, und mussten daher die Verfolgung abbrechen.

Erreichen einer höchstmöglichen Geschwindigkeit als Ziel

Die erhobene Sachrüge deckte nach Ansicht des OLG keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Diese Feststellungen würden den Schuldspruch wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 des Strafgesetzbuchs tragen. Insbesondere habe das AG fehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dies verlange – so der Senat – nicht die Absicht, das Fahrzeug mit objektiv höchstmöglicher Geschwindigkeit zu führen oder es bis an die technischen beziehungsweise physikalischen Grenzen auszufahren. Ausreichend sei vielmehr das Abzielen auf eine relative, eine nach den Sicht-, Straßen-und Verkehrsverhältnissen oder den persönlichen Fähigkeiten des Fahrers mögliche Höchstgeschwindigkeit. Auf diese Absicht habe das AG aus der Gesamtschau der Umstände rechtsfehlerfrei geschlossen.

Vergleichbarkeit mit den sportlichen Wettbewerben

Die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, müsse auch nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund für die Fahrt sein. Vielmehr könne auch in Fällen der "Polizeiflucht" eine Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegen, wenn die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen im Einzelfall – wie hier – festgestellt werden könnten. Die Polizeiflucht sei von einem spezifischen Renncharakter geprägt, in dem sich gerade die in der Gesetzesbegründung genannten besonderen Risiken wiederfinden, auch wenn das Ziel des Wettbewerbs hier nicht im bloßen Sieg, sondern in der gelungenen Flucht liege. Die risikobezogene Vergleichbarkeit mit den sportlichen Wettbewerben liege auf der Hand. Es wäre vor dem Hintergrund des Schutzzwecks der Vorschrift und der intendierten Abgrenzung zwischen Fahrten mit Renncharakter – und damit abstrakt höherem Gefährdungspotential – und bloßen Geschwindigkeitsüberschreitungen auch sinnwidrig, für eine Strafbarkeit – bei identischer Fahrweise und gleicher abstrakter Gefährdungslage – allein danach zu differenzieren, welche Motive die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, letztlich ausgelöst haben oder begleiten.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.07.2019 - 28 Ss 103/19

Redaktion beck-aktuell, 8. August 2019.

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