Musterentscheid: Porsche SE erzielt Etappensieg im Anleger-Streit
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Die Porsche Automobil Holding SE kann im Streit mit einer Vielzahl von Anlegern um Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Diesel-Skandal einen kleinen Erfolg verzeichnen. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in dem Kapitalanleger-Musterverfahren einen Musterentscheid verkündet. Danach war der VW-Großaktionär nicht verpflichtet, den Kapitalmarkt schon früher über die Abgasmanipulation bei VW-Dieselfahrzeugen zu informieren.

Kläger: Aktien zu teuer erworben

Beim LG Stuttgart haben eine Vielzahl von Klägern Schadensersatzklagen gegen Porsche erhoben haben. Sie sind der Ansicht, das Unternehmen habe mehrfach ihre Verpflichtung zur Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen über Insiderinformationen verletzt, die Vorgänge bei der Volkswagen AG im Zusammenhang mit dem Diesel-Skandal und dessen Aufdeckung in den USA in 2014 und 2015 betreffen. Die Kläger sehen ihren Schaden unter anderem darin, dass sie im fraglichen Zeitraum Aktien der Porsche SE mangels einer früheren Ad-hoc-Mitteilung zu teuer erworben hätten, weil der Kurs anderenfalls nicht erst nach der am 22.09.2015 veröffentlichten Ad-hoc-Meldung der VW AG eingebrochen wäre.

Verpflichtung zur Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen?

Das LG hat dem OLG in seinem Vorlagebeschluss sogenannte Feststellungsziele zur Klärung zweier Fragenkomplexe zur Kapitalmarkthaftung der Porsche SE vorgelegt, die in der rechtswissenschaftlichen Literatur kontrovers diskutiert werden und in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt sind. Im ersten Fragenkomplex ging es vor allem um die unter den Parteien umstrittene Frage, ob die Porsche SE, die damals wie heute über 50% der Stammaktien der Volkswagen AG hält, neben der VW AG überhaupt eine Verpflichtung zur Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen über Vorgänge treffen konnte, die sich im Bereich der operativen Geschäftstätigkeit der VW AG abgespielt hatten und gegebenenfalls als Insiderinformationen gewertet werden müssen.

Konnten Kenntnisse anderer Personen zugerechnet werden?

Im zweiten Fragenkomplex ging es darum, ob es für die Veröffentlichungspflicht einer Aktiengesellschaft allgemein darauf ankommt, dass die Vorstandsmitglieder von den Insiderinformationen wissen oder ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Aktiengesellschaft das Wissen anderer Personen zugerechnet werden kann. Zu klären war konkret, ob etwaige Kenntnisse des Vorstands der VW AG oder auch anderer VW-Mitarbeiter über die Vorgänge um die Abschalteinrichtung der PSE zugerechnet werden können. Diese Frage stellte sich vor allem vor dem Hintergrund, dass es einige "Doppelvorstandsmitglieder" gab, also Personen, die Vorstandsmitglieder der VW AG und zugleich Vorstandsmitglieder der Porsche SE waren.

OLG: Porsche hätte über Vorgänge bei VW informieren müssen

Der Senat hat die erste Frage im Wesentlichen bejaht. Im Hinblick darauf, dass die hohe Beteiligung an der VW AG das wesentliche Investment der Porsche SE darstellt und deshalb Kurseinbrüche der VW-Aktie zu einem erheblichen Verlust des Unternehmenswerts führen können, sei anzunehmen, dass eine reine Holdinggesellschaft wie die Porsche SE auch dann zur Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung verpflichtet sein kann, wenn es um solche Ereignisse aus dem operativen Geschäftsbereich einer Gesellschaft wie der VW AG geht, an der sie sich lediglich beteiligt hat. Das gelte jedenfalls dann, wenn wie hier die VW AG selbst die Information nicht veröffentlicht hat.

Unmittelbare Betroffenheit eines Emittenten alleine reicht nicht

In Bezug auf die zweite Frage hat der Senat entschieden, dass ein kursrelevanter Umstand und die unmittelbare Betroffenheit eines Emittenten alleine noch keine Pflicht zur Veröffentlichung begründen. Vielmehr müssten die Mitglieder des dafür zuständigen Vorstands entweder diesen Umstand kennen oder ihr Unternehmen pflichtwidrig nicht so organisiert haben, dass sie über ihn informiert werden. Allerdings reicht es nach der Entscheidung des Senats für eine Veröffentlichungspflicht der Porsche SE nicht aus, wenn ihre Doppelvorstandsmitglieder von den Vorgängen um den Dieselskandal und seine Aufdeckung nur deshalb wussten, weil sie in ihrer Funktion als Vorstände der VW AG darüber informiert waren. Denn in diesem Fall seien sie jeweils gegenüber der VW AG unter Strafdrohung verpflichtet gewesen, über diese Umstände die Verschwiegenheit zu wahren, die das Aktiengesetz einem Vorstandsmitglied auferlegt.

Vorstand der VW AG hätte von Verschwiegenheitspflicht entbinden müssen

Die fraglichen Doppelvorstandsmitglieder hätten diese Informationen daher nur dann an die Porsche SE weitergeben, also dem dortigen Vorstand unterbreiten dürfen, wenn zuvor der gesamte Vorstand der VW AG beschlossen hätte, sie im Interesse der VW AG von ihrer Verschwiegenheitspflicht zu entbinden – dann hätte er zugleich aber darüber entscheiden müssen, ob die VW AG selbst eine Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht. Eine solche Beschlussfassung habe es bei der VW AG nicht gegeben. Da die Doppelvorstandsmitglieder ohne einen solchen Vorstandsbeschluss der VW AG etwaige Informationen über insiderrelevante Umstände nicht weitergeben durften, könne der Porsche SE auch nicht vorgeworfen werden, einen Informationsfluss von der VW AG nicht durch geeignete Maßnahmen gesichert zu haben.

Kein Konzernverhältnis im maßgeblichen Zeitraum

Ob dies anders zu bewerten gewesen wäre, wenn die VW AG eine Konzerntochter der Porsche SE gewesen wäre, konnte der Senat nach eigenen Angaben offen lassen, weil ein Konzernverhältnis zwischen beiden im maßgeblichen Zeitraum nicht bestand. Da die Zurechnung von Wissen aus dem Konzern der VW AG zulasten von Porsche SE nicht möglich war, konnte nach Ansicht des Gerichts auch offen bleiben, ob die Umstände um die Aufdeckung der illegalen Abschalteinrichtung durch die US-Behörden in den Jahren 2014 und 2015 überhaupt Insiderinformationen für die Porsche SE darstellten.

Keine Anhaltspunkte für Kenntnis von Abschalteinrichtungen

Schließlich musste sich der Senat aufgrund von zugelassenen Erweiterungsanträgen mit der Frage befassen, ob die Porsche SE bereits ab Juni 2008, als die ersten Fahrzeuge mit Dieselmotor EA 189 in den USA zugelassen wurden, eine Ad-hoc-Mitteilung pflichtwidrig unterlassen hat. Der Senat konnte hier bereits keine Veröffentlichungspflicht feststellen, weil die Vernehmung der bis Ende 2009 amtierenden Vorstandsmitglieder Wiedeking und Härter als Zeugen keine Anhaltspunkte dafür ergeben habe, dass diese die Abschalteinrichtungen kannten oder dass ihre Unkenntnis auf einer Pflichtwidrigkeit beruhte.

Rechtsbeschwerde zum BGH möglich

Der Musterentscheid, der nach seiner Rechtskraft die LG, die im Nachgang über die jeweiligen Einzelklagen zu entscheiden haben werden, bindet, ist nicht rechtskräftig. Gegen den Musterentscheid ist die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zulässig. Eine anonymisierte Fassung des Musterentscheids wird nach Angaben des Gerichts demnächst auf der Homepage des OLG Stuttgart abrufbar sein.

Redaktion beck-aktuell, 30. März 2023.