OLG Stuttgart konkretisiert Beteiligung ausscheidender Versicherungsnehmer an Bewertungsreserven nach Neuregelung im Jahr 2014

Ein Lebensversicherer darf nach Inkrafttreten des Lebensversicherungsreformgesetzes (LVRG) im Jahr 2014 bei einem danach wegen Vertragsbeendigung ausscheidenden Versicherungsnehmer bei der Ermittlung von Bewertungsreserven berücksichtigen, dass er seiner Konzernmutter zur Gewinnabführung verpflichtet ist. Dies hat das Oberlandesgericht Stuttgart mit Urteil vom 14.11.2019 entschieden (Az.: 7 U 12/18). Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob eine Gewinnabführung aufgrund eines Gewinnabführungsvertrages unter die Ausschüttungssperre des § 56a Abs. 2 S. 3 VAG a.F. fallen kann und welche Auswirkung eine Gewinnabführung gegebenenfalls für die Annahme eines Sicherungsbedarfs gegenüber dem Versicherungsnehmer hat, hat der Senat die Revision zum Bundesgerichtshof allerdings zugelassen.

Kläger hält ausbezahlten Betrag für zu gering

In dem zu Grunde liegenden Rechtsstreit hatte der klagende Versicherungsnehmer die Berechnung von Bewertungsreserven für den von ihm beendeten Lebensversicherungsvertrag angezweifelt und geltend gemacht, ihm stehe ein höherer als der ausbezahlte Betrag zu.

Lebensversicherer sollen Leistungen auch gewährleisten können

Bei der Beurteilung des Sachverhalts ist das Berufungsgericht zunächst davon ausgegangen, dass Versicherungsnehmer bei Beendigung des Lebensversicherungsvertrags gemäß § 153 Abs. 3 VVG grundsätzlich zur Hälfte an den Bewertungsreserven zu beteiligen sind. Wie das Gericht betonte, sollte dieser Anspruch des Versicherungsnehmers durch das LVRG gesichert werden. Der Gesetzgeber habe der durch die anhaltende Niedrigzinsphase geschürten Befürchtung entgegenwirken wollen, dass es durch Ausschüttungen an Aktionäre oder infolge von Überschussbeteiligungen ausscheidender Versicherungsnehmer dazu kommen könne, dass die Lebensversicherer langfristig die von ihnen garantierten Leistungen nicht mehr gewährleisten könnten. Dazu habe § 56a Abs. 2 bis 4 Versicherungsaufsichtsgesetz a.F. (jetzt § 139 Abs. 2 bis 4 VAG) – auch für bestehende Verträge – einerseits vorgesehen, dass die Beteiligung ausscheidender Versicherungsnehmer nur insoweit zulässig ist, als die Bewertungsreserven einen etwaigen Sicherungsbedarf aus den Versicherungsverträgen mit Zinsgarantie übersteigen. Andererseits dürfe auch ein Bilanzgewinn an Aktionäre nur ausgeschüttet werden, soweit er diesen Sicherungsbedarf überschreitet.

Begrenzung nicht auf Gewinnabführung übertragbar

Diese für die Ausschüttung an Aktionäre geltende Begrenzung ist nach der Entscheidung des Berufungsgerichts nicht auf den Fall eines Gewinnabführungsvertrags zwischen einer Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft und ihrer Muttergesellschaft zu übertragen. Eine Gewinnabführung unterscheide sich nicht nur im Wortlaut, sondern auch strukturell von einer Ausschüttung an Aktionäre. Während bei Letzterer das ausgeschüttete Kapital der Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft endgültig entzogen sei, treffe im Rahmen eines Gewinnabführungsvertrages den Mutterkonzern nach § 302 Aktiengesetz eine Verlustausgleichspflicht. Dies rechtfertige eine unterschiedliche Behandlung, so dass die Berücksichtigung einer Verpflichtung zur Gewinnabführung den Zielen des LVRG, unter anderem der Vermeidung ungerechtfertigter Mittelabflüsse, nicht zuwiderlaufe. Das sieht der Senat auch dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber im Zusammenhang der Evaluierung des LVRG im Jahr 2018 keine Veranlassung zu einer Änderung oder Klarstellung der gesetzlichen Bestimmungen gesehen habe.

Keine Anhaltspunkte für fehlerhafte Ermittlung des Sicherungsbedarfs

Ungeachtet dieser Rechtsfrage stehe es dem Versicherungsnehmer im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens jedoch offen, den in die Berechnung der Überschussbeteiligung einbezogenen Sicherungsbedarf überprüfen zu lassen. Hierzu hat der Senat ein versicherungsmathematisches Sachverständigengutachten eingeholt, aufgrund dessen er zu dem Schluss gelangt ist, dass Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermittlung des Sicherungsbedarfs nicht vorliegen. Daher blieb die Klage erfolglos.

OLG Stuttgart, Urteil vom 14.11.2019 - 7 U 12/18

Redaktion beck-aktuell, 15. November 2019.