Reichsbürger wegen versuchten Polizistenmordes verurteilt

Nachdem er im Rahmen einer Trunkenheitsfahrt mit seinem Pkw frontal auf einen Polizeibeamten zugefahren ist, ohne zu bremsen, hat das Oberlandesgericht Stuttgart einen 62-Jährigen zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Der Polizist war von der Motorhaube mit dem Kopf auf die Straße aufgeschlagen und hatte dabei ein Schädelhirntrauma und Frakturen erlitten. Das OLG erkannte unter anderem auf versuchten Mord.

Feindliche Gesinnung gegenüber Polizeibeamten

Wie das OLG ausführt, handelt es sich beim Angeklagten um einen radikalisierten Mann, der das Grundgesetz und die geltende Rechtsordnung ebenso ablehnt wie die Corona-Maßnahmen und sich als Staatsangehöriger des Bundesstaats Großherzogtum Baden sieht. Polizeibeamte habe er ab August 2021 in Chats, in Briefen und in Aushängen an seiner Wohnungstür als "Milizen", "Terroristen" und "Kombattanten" beschimpft und behauptet, er habe das Recht, diese "straffrei zu eliminieren". Dabei habe er gewusst, dass weder die geltende Rechtsordnung noch irgendwelche "Reichsgesetze" die Ermordung von Polizisten erlauben. Er habe daher behauptet, dass in Deutschland seit 1990 die "Haager Landkriegsordnung" gelte und habe damit bewusst seine Fantasierechtsordnung über das geltende Recht gestellt.

Angeklagter flüchtet bei Trunkenheitsfahrt vor Polizei

Nach den Feststellungen des OLG fuhr der Angeklagte im Februar 2022 um kurz nach 22.00 Uhr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,19 Promille nach Hause. Weil er zu schnell fuhr, wollte eine Polizeistreife ihn kontrollieren. Drei Mal wurde er angehalten, flüchtete aber immer. Letztlich versuchte die Polizei den Angeklagten dadurch zu stellen, dass sie zwei Polizeifahrzeuge vor und hinter ihm ein drittes in Stellung brachte. Der Angeklagte hielt zuerst an, fuhr dann aber weiter. Um ihn zu stoppen, stieg ein Polizeibeamter aus einem vierten, noch weiter vorne geparkten Fahrzeug aus und lief – für den Angeklagten im Scheinwerferlicht gut sichtbar – auf den Pkw des Angeklagten zu, um ihn aufzufordern, auszusteigen. Aufgrund seiner ideologischen Einstellung entschloss sich der Angeklagte, mit seinem Pkw schnell auf den Polizisten zuzufahren. Obwohl der Angeklagte noch vor dem Beamten hätte abbremsen oder ausweichen können, lenkte er seinen Pkw bewusst auf diesen zu. Mit 25 km/h fuhr er den Polizeibeamten frontal an und lud ihn auf die Motorhaube auf. Dann beschleunigte der Angeklagte weiter und lenkte kurz darauf nach rechts.

OLG sieht versuchten Mord

Der Polizeibeamte stürzte dadurch nach links auf die Straße und verletzte sich beim Aufprall schwer am Kopf. Dies hätte auch zum Tod des Polizeibeamten führen können, ist das OLG überzeugt. Der Angeklagte habe von vorneherein mit erheblichen Verletzungen und dem möglichen Tod des Polizeibeamten gerechnet. Beides habe er in Kauf genommen, um seine ideologische Überzeugung durchzusetzen. Sodann sei der Angeklagte ohne anzuhalten weitergefahren. Erst später habe er angehalten und festgenommen werden können. Seither sei er in Untersuchungshaft. Das OLG erkannte auf versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort und fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr. "Wenn man seine eigene Fantasierechtsordnung über das Leben anderer Menschen stellt, dann ist das ein niederer Beweggrund", sagte Richter Roderich Martis in seiner Urteilsbegründung. Neben der Freiheitsstrafe wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen und sein Pkw eingezogen. An den verletzten Polizeibeamten muss der Angeklagte 30.000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Auch hat er ihm sämtliche materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen.

Radikalisierung in wenigen Jahren

Der Weg des nun verurteilten 62-Jährigen zeigt eindrücklich, wie ein Mensch abrutschen kann in dieses Milieu. Bis 2017 war er unauffällig, arbeitete als Schreiner, ging in einen Musikverein, fiel polizeilich nie auf. Doch innerhalb weniger Jahre habe sich der Mann radikalisiert, so schildert es Richter Martis. 2019 gab er seinen Personalausweis ab, gab an verschiedenen Behörden an, er sei nun Staatsbürger des Großherzogtums Baden. Den deutschen Staat gebe es nicht, Gesetze würden für ihn nicht gelten. Auch Bußgelder für Ordnungswidrigkeiten zahlte der Schreiner nicht mehr. Im Frühjahr 2020 bestellte er eine Schreckschusswaffe, die er nie bekam. Geliefert wurden hingegen Messer, eine Jagdspitze, zehn funktionstüchtige Patronen für eine Pistole und zwei Armbrüste samt Pfeilen. "Das sind alles Dinge, die braucht man nicht für Entspannungsübungen", sagte der Richter. Im selben Jahr trat der Schreiner aus dem Musikverein aus, verlor den Kontakt zu Kollegen, bezeichnete Politiker als Terroristen und Polizisten als "Drecksbullen" und "Ratten". Als er während der Corona-Pandemie ohne Maske einkaufen wollte und eine Verkäuferin ihm dies verwehrte, trat er ihr gegen den Oberschenkel. Der 62-Jährige schüttelt zu den Ausführungen immer nur den Kopf, wirkt aufgelöst, spricht seinen Anwalt an. Er kann noch Revision einlegen.

"Wegweisendes Urteil" im Umgang mit Reichsbürgern

Das Gericht folgte mit seinem Urteil der Bundesanwaltschaft und der Nebenklage. Für Karin Weingast, Oberstaatsanwältin am Bundesgerichtshof, ist das Urteil "wegweisend im Umgang mit Straftaten mit sogenannten Reichsbürgern". Der Vertreter der Nebenklage, Patrick Steiger, sagte, für seinen Mandanten sei das Urteil sehr wichtig. Es gehe ihm nicht gut. "Ich hoffe, dass für ihn nun wieder Ruhe einkehrt, dass er sich auf sein zukünftiges Leben konzentrieren kann."

OLG Stuttgart, Urteil vom 24.03.2023 - 2 – 2 StE 15/22

Redaktion beck-aktuell, 27. März 2023 (ergänzt durch Material der dpa).