Klägerin erwarb "Skandal-Diesel"
Die Klägerin kaufte im November 2013 von der Beklagten, einer VW-Vertragshändlerin, ein Neufahrzeug der Marke VW (Modell Touran Comfortline) zu einem Kaufpreis von gut 30.000 Euro. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe EA 189 verbaut. Das Fahrzeug wurde der Klägerin im Februar 2014 übergeben. Unter Verweis auf Medienberichte über die Nichteinhaltung zugesagter Abgaswerte forderte die Klägerin die Beklagte im Oktober 2015 zur Beseitigung dieses Mangels auf.
Softwareupdate zur Vermeidung einer Stilllegung aufgespielt
Die Beklagte bat unter Hinweis darauf, dass die Volkswagen AG mit Hochdruck an Lösungen arbeite, um Geduld. Im Dezember 2016 erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Kaufvertrag. Die Beklagte lehnte in der Folgezeit die Rücknahme des Fahrzeugs ab und bot der Klägerin die Durchführung eines vom Kraftfahrtbundesamt genehmigten Softwareupdates an. Nachdem sich die Klägerin zunächst weigerte, diese Abhilfemaßnahme durchführen zu lassen, ließ sie das Softwareupdate im Juli 2018 aufspielen, nachdem das Kraftfahrtbundesamt ihr mitgeteilt hatte, dass bei Nichtdurchführung der technischen Maßnahme eine Übermittlung der Daten an die Zulassungsbehörde erfolgen werde.
LG wies Klage ab
Die Klägerin verlangte vor dem Landgericht Lübeck unter anderem die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Das LG wies die Klage ab. Dagegen legte die Klägerin Berufung ein.
OLG: Fahrzeug wegen Stilllegungsgefahr mangelhaft
Die Berufung hatte Erfolg. Das OLG hat die Händlerin unter anderem zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs und gegen Zahlung einer Nutzungsentschädigung verurteilt. Die Klägerin könne von der Beklagten gemäß § 346 Abs. 1 BGB die Rückzahlung des Kaufpreises verlangen, weil sie im Dezember 2016 wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten sei. Im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung habe ein Rücktrittsgrund vorgelegen, denn das Fahrzeug sei bei der Übergabe im Februar 2014 mangelhaft gewesen. Es habe sich nicht zur gewöhnlichen Verwendung im Straßenverkehr geeignet, weil es mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen gewesen sei und deshalb die Gefahr einer Stilllegung durch die Zulassungsbehörde bestanden habe.
14 Monate für Mängelbeseitigung angemessen
Die Klägerin habe der Beklagten auch eine angemessene Frist gesetzt, um den Mangel zu beseitigen, so das OLG weiter. Von der Mängelrüge im Oktober 2015 bis zur Rücktrittserklärung im Dezember 2016 seien fast 14 Monate vergangen. Diese Zeitspanne sei auch unter Berücksichtigung der Vielzahl der von der Abgasproblematik betroffenen Fahrzeuge und der technischen Anforderungen an die Abhilfemaßnahme ausreichend.
Mangel nicht nur unerheblich
Weiter ist das Rücktrittsrecht der Klägerin dem OLG zufolge nicht wegen einer Unerheblichkeit des Mangels ausgeschlossen. Zwar werde eine Erheblichkeit eines Mangels in der Regel erst dann angenommen, wenn der Mängelbeseitigungsaufwand mehr als 5% des Kaufpreises betrage. Daneben seien aber die Umstände des Einzelfalls zu würdigen und in eine Interessenabwägung darüber einzubeziehen, ob der Käufer trotz des Mangels am Vertrag festzuhalten sei. Nach diesem Maßstab sei vorliegend nicht von einem nur unerheblichen Mangel auszugehen. Der Beklagten sei es nicht gelungen, die mehr als ein Jahr zuvor gerügte Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs zu beseitigen. Vielmehr sei im Zeitpunkt des Rücktritts aus Sicht der Klägerin völlig offen gewesen, ob, auf welche Weise und innerhalb welchen zeitlichen Rahmens die Beklagte die weiterhin drohende Stilllegung des Fahrzeugs würde abwenden können.
Softwareupdate steht vorher erklärtem Rücktritt nicht entgegen
Laut OLG steht auch die Durchführung des Softwareupdates im Juli 2018 einem Festhalten der Klägerin an dem zuvor erklärten Rücktritt nicht entgegen. Insoweit könne offenbleiben, ob es sich bei dieser Abhilfemaßnahme um eine ordnungsgemäße Mängelbeseitigung im Sinne des § 439 Abs. 1 BGB gehandelt habe, denn auch dann, wenn der Rücktrittsgrund nachträglich entfallen sein sollte, beeinträchtige dies die durch den Rücktritt erlangte Rechtsposition des Käufers nicht. Die Klägerin handle schließlich auch nicht treuwidrig, wenn sie trotz Durchführung des Softwareupdates an ihrem Rückabwicklungsbegehren festhalte. Die Klägerin habe gegenüber der Beklagten mehrfach die Durchführung des Softwareupdates unter Hinweis auf die von ihr begehrte Rückabwicklung abgelehnt und der Durchführung der Abhilfe nur zugestimmt, weil anderenfalls die sofortige Stilllegung des Fahrzeuges gedroht hätte.
Klägerin muss Nutzungsentschädigung leisten
Könne die Klägerin somit die Rückzahlung des Kaufpreises und daneben die Zahlung von Kosten für Wartungs- und Reparaturarbeiten sowie fahrzeugbezogene Aufwendungen verlangen, sei die Beklagte zur Rückzahlung nur Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs durch die Klägerin und gegen Zahlung eines Wertersatzes für die von der Klägerin gezogenen Nutzungen verpflichtet. Die Klägerin sei mit dem Fahrzeug 130.516 Kilometer gefahren. Bei einer Gesamtlaufleistung, die der Senat unter Berücksichtigung des Fahrzeugtyps und der Motorgröße gemäß § 287 ZPO auf 250.000 km schätze, ergebe sich ein Nutzungswertersatz in Höhe von knapp 16.000 Euro.