Nach Notbremsung im Bus gestürzt und schwer verletzt
Eine noch recht rüstige 82 Jahre alte Frau fuhr an einem regnerischen Winterabend mit dem Bus nach Hause. Sie drückte das Haltesignal, stand von ihrem Sitzplatz auf und stellte sich an den Ausgang des Linienbusses. Mit der einen Hand hielt sie sich an der Haltestange fest, während sie in der anderen Hand ihre Tasche und den Regenschirm hielt. Vor "ihrer" Haltestelle bog der Bus noch nach links ab und übersah dabei eine Fußgängerin. Im letzten Augenblick trat der Fahrer mit aller Kraft auf die Bremse, um eine Kollision zu verhindern. Während die Fußgängerin unversehrt blieb, konnte sich seine Passagierin nicht mehr halten und stürzte zu Boden. Sie erlitt mehrere Knochenbrüche und musste in der Folge dauerhaft in einem Pflegeheim untergebracht werden. Die alte Dame verlangte vom Busfahrer und von dem Busunternehmen vergeblich Schadensersatz vor dem Landgericht Lübeck. Ihre Berufung vor dem Oberlandesgericht Schleswig aber hatte Erfolg.
Haftung aus Betriebsgefahr und Fahrfehler
Die Beklagten haften grundsätzlich gesamtschuldnerisch nach den §§ 7, 8a und 18 StVG, so das OLG. Sie müssen laut den Schleswiger Richtern für die einfache Betriebsgefahr und auch für den Verkehrsverstoß des Fahrers nach § 9 Abs. 3 StVO (Sorgfaltspflichten beim Linksabbiegen) einstehen. Der Fahrer habe so plötzlich gebremst, weil er die Fußgängerin zunächst übersehen hatte, die Bremsung sei also kein normaler Bremsvorgang, sondern Folge eines Verkehrsverstoßes. Daher lehnt das OLG es ab, die Betriebsgefahr wegen fehlender Eigensicherung der Geschädigten zurücktreten zu lassen.
Mitverschulden der Passagierin
Die alte Dame muss sich aber laut den Schleswiger Richtern ein erhebliches Mitverschulden nach § 254 BGB anrechnen lassen, weil sie sich entgegen § 4 Abs. 3 Satz 5 der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Busverkehr keinen festen Halt im Bus verschafft hat. In ihrem Alter habe sie die Pflicht getroffen, sich mit beiden Händen festzuhalten. Sich mit nur einer Hand festzuhalten, genüge nicht, um bei ruckartigen Fahrt- oder Bremsbewegungen das Gleichgewicht zu halten. Dieses Eigenverschulden verdrängt dem OLG zufolge die Gefährdungshaftung aus einfacher Betriebsgefahr vollständig, und bei einem Fahrfehler – wie hier – zur Hälfte. Die Sache wurde zur Ermittlung der Schadenshöhe an das Landgericht zurückverwiesen.