OLG Saarbrücken: Mitwirkungsobliegenheit im Rahmen der Ermittlungen zur Feststellung der Leistungspflicht

AVB § 5 II; BGB §§ 133, 157; VVG §§ 14 I, 31 I, 151, 172, 176; ZPO §§ 114 I 1 und II, 127 II, 569 I und II, 574

Eine die Fälligkeit bewirkende Leistungsablehnung erfordert nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts Saarbrücken eine endgültige und erkennbar abschließende Stellungnahme des Versicherers, mit der er bekundet, keine weiteren Erhebungen mehr vornehmen zu wollen, die so eindeutig ist, dass der Versicherungsnehmer daraus zweifelsfrei entnehmen kann, dass der Versicherer seine Eintrittspflicht ablehnt. Ermöglichten es die bisherigen Auskünfte nicht, eine abschließende Entscheidung über die Eintrittspflicht zu treffen und verweigere der Versicherungsnehmer die gebotene Mitwirkung an einer ärztlichen Begutachtung, so habe dies zur Folge, dass der Versicherer die Ermittlungen zur Feststellung seiner Leistungspflicht im Sinne des § 14 VVG nicht abschließen kann.

OLG Saarbrücken, Beschluss vom 27.08.2019 - 5 W 46/19 (LG Saarbrücken), BeckRS 2019, 23405

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 21/2019 vom 17.10.2019

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Sachverhalt

Der Antragsteller, der den Beruf des Friseurs erlernt hat, begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit. Bei ihm wurde am 21.03.2016 eine Fraktur des Kahnbeins der rechten Hand festgestellt. Im Jahr 2017 stellte er bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit.

Nach eingeholten divergierenden Einschätzungen der behandelnden Ärzte teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Schreiben vom 13.11.2017 mit, dass anhand der eingereichten Unterlagen der Nachweis einer Berufsunfähigkeit von zumindest 50% nicht erbracht sei und sie daher keine Leistungen erbringen könne. Zugleich wurde dem Antragsteller die Möglichkeit eingeräumt, ergänzende Angaben zu machen, sofern seiner Meinung nach der zuvor genannte Sachverhalt nicht richtig dargestellt worden sei.

Nach Übersendung weiterer ärztlicher Unterlagen teilte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 15.05.2018 mit, dass zur abschließenden Überprüfung ihrer Entscheidung die Erstellung eines interdisziplinären orthopädisch-unfallchirurgischen Gutachtens erforderlich sei. Einer dem Antragsteller übermittelten Einladung zur auftragsgemäßen Begutachtung kam dieser nicht nach.

Das Landgericht hatte den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen.

Rechtliche Wertung

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers bleibt in der Sache ohne Erfolg. Es fehle jedenfalls an der Fälligkeit eines mit der beabsichtigten Klage geltend gemachten vermeintlichen Leistungsanspruchs, so das OLG. Denn der Antragsgegnerin sei es mangels ausreichender Mitwirkung des Antragstellers bislang nicht ermöglicht worden, die notwendigen Erhebungen zu Grund und Höhe ihrer Leistungspflicht abzuschließen, wozu sie vorab berechtigt und verpflichtet war.

Die Fälligkeit der geltend gemachten Ansprüche folge hier nicht ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 VVG aus einer endgültigen Leistungsablehnung der Antragsgegnerin. Eine die Fälligkeit bewirkende Leistungsablehnung erfordere eine endgültige und erkennbar abschließende Stellungnahme des Versicherers, mit der er bekundet, keine weiteren Erhebungen mehr vornehmen zu wollen, die so eindeutig ist, dass der Versicherungsnehmer daraus zweifelsfrei entnehmen kann, dass der Versicherer seine Leistungspflicht ablehnt.

Eine solche endgültige Ablehnung sei hier bei sachgerechter Auslegung des Schreibens vom 13.11.2017 aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen, verständigen Empfängers (§§ 133, 157 BGB) unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles nicht ausgesprochen worden. Die Antragsgegnerin äußerte in dem Schreiben zwar die Einschätzung, dass und weshalb kein Leistungsanspruch bestehe und sie dementsprechend keine Leistungen aus dem Versicherungsvertrag erbringen könne.

Dies sei aber - für den Antragsteller erkennbar - noch keine endgültige und abschließende Entscheidung über seinen Anspruch gewesen, weil das Schreiben zugleich den klaren Hinweis enthielt, dass diese Einschätzung nur auf die zum damaligen Zeitpunkt bekannten, im Einzelnen wiedergegebenen Tatsachen gründete und der Antragsteller die Möglichkeit habe, ergänzende Angaben zu machen. Die Antragsgegnerin habe dem Antragsteller auf diese Weise ausdrücklich Gelegenheit zur Korrektur eingeräumt. Dabei sei für den Antragsteller auch hinreichend erkennbar, welche - insbesondere medizinischen - Informationen der Antragsgegnerin fehlten, um ggf. in seinem Sinn über den Antrag entscheiden zu können.

Maßgeblich sei mithin, ob die Antragsgegnerin - bei der gebotenen objektiven Beurteilung der ihr bekannten Tatsachen - das Leistungsprüfungsverfahren bereits hätte abschließen können, weil ihr alle zur Feststellung des Versicherungsfalles wie auch des Umfangs ihrer Leistungen nötigen Informationen zur Verfügung standen (§ 14 Abs. 1 VVG). Das sei zu verneinen, da die vorliegenden Auskünfte es ihr bis zuletzt nicht ermöglichten, eine abschließende Entscheidung über ihre Eintrittspflicht zu treffen und der Antragsteller auch nicht im gebotenen Umfang an der Aufklärung des Sachverhaltes mitgewirkt habe.

Verweigere der Versicherungsnehmer die Mitwirkung an einer ärztlichen Untersuchung, von deren vorheriger Durchführung der Versicherer eine abschließende Erklärung über seine Eintrittspflicht abhängig gemacht hat, führe dies - unbeschadet etwaiger vertraglicher Sanktionen dieser Obliegenheitsverletzung - dazu, dass der Versicherer nicht in die Lage versetzt wird, die gebotenen Ermittlungen zur Feststellung seiner Leistungspflicht im Sinn des § 14 VVG vorzunehmen. Soweit die Antragsgegnerin die Einholung eines interdisziplinären orthopädisch-unfallchirurgischen Gutachtens als erforderlichen Teil einer umfassenden Leistungsprüfung angesehen und dies dem Antragsgegner mit Schreiben vom 15.05.2018 angekündigt hat, ihr die Prüfung dieses Teils jedoch verwehrt worden ist, sei sie nicht gehalten gewesen, ihre Prüfung fortzusetzen.

Praxishinweis

Nach § 14 Abs. 1 VVG sind Geldleistungen des Versicherers erst mit Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistung des Versicherers nötigen Erhebungen fällig. Notwendige Erhebungen sind diejenigen, die ein durchschnittlich sorgfältiger Versicherer des entsprechenden Versicherungszweiges anstellen muss, um den Versicherungsfall, seine Leistungspflicht und den Umfang der zu erbringenden Leistung zu prüfen und abschließend festzustellen (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 09.11.2005 - 5 U 286/05-26, r+s 2006, 385; OLG Karlsruhe, Urteil vom 03.12.1992 - 12 U 115/92, r+s 1993, 443).

Damit korrespondieren Mitwirkungsobliegenheiten des Versicherungsnehmers, die in den Versicherungsbedingungen vereinbart sein können und sich sonst aus § 31 Abs. 1 VVG ergeben. Danach kann der Versicherungsnehmer gehalten sein, Auskünfte zu geben, Unterlagen vorzulegen sowie ggf. - im Rahmen des Zumutbaren - an ärztlichen Untersuchungen mitzuwirken (vgl. Lücke in Prölss/Martin, VVG 30. Aufl., § 7 BU Rn. 9).

Redaktion beck-aktuell, 29. Oktober 2019.