Trotz drohender Einweisung: Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten zulässig

Auch wenn statt sechsjähriger Freiheitsstrafe ein Freispruch und die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus möglich sind, ist die Wiederaufnahme zugunsten des Angeklagten zulässig. Das OLG Saarbrücken sieht darin keine Verschlechterung seiner Situation.

Ein cannabisabhängiger Mann mit cholerischem Charakter versuchte, einen anderen zu töten. Gegen einen Vollstreckungsbeamten leistete er Widerstand. Deshalb verurteilte ihn das LG Saarbrücken zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren. Gestützt auf ein Gutachten hielt es dem Mann dabei zugute, dass er infolge seiner Drogenabhängigkeit vermindert schuldfähig gewesen sei. Er wurde in einer Entziehungsanstalt untergebracht. Auf seine Revision hin hob der BGH die Anordnung der Maßregel auf, ließ aber den Schuld- und Strafausspruch bestehen.

Das LG zog einen neuen Sachverständigen hinzu, der nun eine substanzbedingte hirnorganische Persönlichkeitsstörung im Übergang in eine organisch wahnhafte Störung sah. Er hielt es für nicht ausgeschlossen, dass der Mann die Taten deshalb im Zustand der völligen Schuldunfähigkeit begangen hatte. Das LG sah von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ab und der Mann ging ins Gefängnis.

Die Staatsanwaltschaft beantragte nun erfolgreich die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 359 Nr. 5 StPO, um zu erreichen, dass der Mann mangels Schuld von dem Vorwurf freigesprochen wird. Die sofortige Beschwerde des Mannes beim OLG (Beschluss vom 08.10.2024 – 1 Ws 200/24 35 Js 1324/22) hatte keinen Erfolg.

Verschlechterungsverbot greift nicht

Obwohl die Wiederaufnahme allein mit dem Ziel der Unterbringung nach § 63 StGB nicht zulässig sei, sah das OLG hier kein Problem: Der Verurteilte werde aller Voraussicht nach vom Vorwurf des versuchten Totschlags freigesprochen und die Vollstreckung der Strafe sofort beendet. Auch wenn faktisch eine Unterbringung nach § 63 StPO möglich sei, stehe das Verschlechterungsverbot nach § 373 Abs. 2 Satz 2 StPO (Kein Verbot der Anordnung der Unterbringung) der Wiederaufnahme nicht entgegen.

Die Saarbrücker Richterinnen und Richter gaben aber noch auf den Weg, dass ein "neues Beweismittel" nach § 359 Nr. 5 StPO nur darauf gestützt werden könne, dass die Sachkunde des vorherigen Gutachters unzureichend, er von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen, das Gutachten widersprüchlich, oder mit veralteten Forschungsmitteln erstellt worden sei. Das jüngere Gutachten müsse dem alten den Boden entziehen. Hier hätten sich in der erneuten Verhandlung vor dem LG Saarbrücken in einer Verhandlungspause – ohne Rausch – Anzeichen für Wahnvorstellungen gezeigt. Dies seien neue Anknüpfungstatsachen.

OLG Saarbrücken, Beschluss vom 08.10.2024 - 1 Ws 200/24 35 Js 1324/22

Redaktion beck-aktuell, rw, 17. Oktober 2024.