Pflichtverteidiger für Klimakleber? Auf die Gesamtstrafe kommt es an
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Ein Klimaaktivist muss einen Pflichtverteidiger erhalten, wenn ihm in mehreren, auch nicht verbundenen Verfahren insgesamt eine erhebliche Gesamtfreiheitsstrafe droht. Laut OLG Nürnberg kommt es nicht allein auf die Schwere der aktuellen Tat an, sondern auf die Gesamtwirkung aller Verfahren.

Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, sich im August 2022 als Klimakleber an einer Straßenblockade in Nürnberg beteiligt und damit Autofahrer am Weiterfahren gehindert und so genötigt zu haben. Dafür verurteilte ihn das AG in 13 tateinheitlichen Fällen zu 75 Tagessätzen zu je 15 Euro. Dagegen legten sowohl die Staatsanwaltschaft – sie forderte 90 Tagessätze – als auch der Angeklagte – der erstinstanzlich auf Freispruch plädierte – Berufung ein. Gegen den Klimakleber laufen parallel bundesweit weitere Strafverfahren wegen seiner Aktivitäten als Aktivist für den Klimaschutz. In einigen Verfahren sind auch bereits Freiheitsstrafen verhängt worden, die teils noch nicht rechtskräftig sind.

Wegen der Vielzahl dieser Verfahren beantragte der Verteidiger des Mannes, ihm nach § 140 Abs. 2 StPO einen Pflichtverteidiger beizuordnen. Das LG Nürnberg-Fürth gab dem statt. Daraufhin legte die Staatsanwaltschaft die sofortige Beschwerde ein – ohne Erfolg.

OLG betont Bedeutung "drohender Gesamtstrafe"

Die Nürnberger Richterinnen und Richter pflichteten den Ausführungen des LG bei: Der Angeklagte habe Anspruch auf einen Pflichtverteidiger (Beschluss vom 24.04.2025 - Ws 325/25). § 140 Abs. 2 StPO schreibe eine Beiordnung vor, wenn sie wegen der "Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge" geboten sei. Entscheidend sei hier, dass die dem Mann drohenden Einzelstrafen aus den Parallelverfahren zusammen eine erhebliche Gesamtstrafe erwarten ließen – unabhängig davon, ob die Verfahren miteinander verbunden waren oder nicht.

Wenn in verschiedenen Verfahren Strafen drohten, so das OLG weiter, die zusammen die Schwelle einer erheblichen Freiheitsstrafe – die meisten gehen hier von einem Jahr oder mehr aus– überschreiten, sei die Verteidigung in jedem einzelnen Verfahren notwendig. Dabei dürfe nicht der bloß zufällige Fakt entscheiden, ob die Verfahren verbunden werden oder nicht, da eine solche "Zufälligkeit" mit dem Gebot fairer Verhandlungsführung unvereinbar wäre.

Das Gericht widersprach damit fiskalisch motivierten Bedenken der Staatsanwaltschaft, wonach eine großzügige Handhabung des § 140 Abs. 2 StPO zu einer nicht hinnehmbaren Ausweitung des Pflichtverteidigerinstituts führen würde. Denn der rechtsstaatliche Anspruch auf effektive Verteidigung stehe über solchen Erwägungen.

OLG Nürnberg, Beschluss vom 24.04.2025 - Ws 325/25

Redaktion beck-aktuell, ns, 16. Juni 2025.

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