OLG Naumburg: Unter Bezeichnung "Judensau" bekannte Sandsteinskulptur an Stadtkirche Wittenberg darf bleiben

Die unter der Bezeichnung "Judensau" bekannte Sandsteinskulptur an der Stadtkirche Wittenberg darf bleiben. Dies hat das Oberlandesgericht Naumburg entschieden und damit ein Urteil der Vorinstanz bestätigt. Die Skulptur verletze die Ehre der Juden nicht, da eine Informationstafel unmissverständlich zum Ausdruck bringe, dass sich die beklagte Kirchengemeinde von der verhöhnenden Zielrichtung der Schmähplastik distanziere (Az.: 9 U 54/19).

Beseitigung der Skulptur verlangt

Der Kläger hat die beklagte Kirchengemeinde auf die Beseitigung der Skulptur von der Fassade der Kirche in Anspruch genommen. Er meint, die Beseitigung verlangen zu können, weil die Skulptur eine Beleidigung der Angehörigen des jüdischen Glaubens und damit auch des Klägers selbst darstelle. Zusätzlich hat er den geltend gemachten Beseitigungsanspruch auf die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gestützt.

OLG: Skulptur weder beleidigend noch persönlichkeitsverletzend

Das OLG hat das klageabweisende Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau bestätigt. Dem Kläger stehe kein Beseitigungsanspruch zu, weil die Skulptur in ihrem aktuellen Kontext weder beleidigenden Charakter aufweise noch das Persönlichkeitsrecht des Klägers verletze. Allerdings habe das Relief ursprünglich unstreitig den Zweck verfolgt, die Juden verächtlich zu machen. Gleichwohl verletze die Beklagte mit ihrer Ausstellung an der Fassade der Stadtkirche die Ehre der Juden und des Klägers nicht.

Infotafel lässt andere Zielrichtung erkennen

Das Relief sei Teil eines Ensembles, das eine andere Zielrichtung der Beklagten erkennen lasse. Eine Informationstafel bringe unmissverständlich zum Ausdruck, dass die Beklagte sich von den Judenverfolgungen, den antijudaistischen Schriften Martin Luthers und der verhöhnenden Zielrichtung der Schmähplastik distanziere. Dies werde durch das im Jahr 1988 enthüllte Mahnmal unterhalb der Schmähplastik bekräftigt, so das OLG.

Beleidigung bleibt nicht immer Beleidigung

Der vom Kläger zur Unterstützung seiner Argumentation herangezogene Gedanke, wonach eine Beleidigung auch dann eine Beleidigung bleibe, wenn man sie kommentiere, könne nicht allgemein und ausnahmslos Geltung beanspruchen, so das OLG weiter. Konsequent angewendet stünde dieser Gedanke auch der vom Kläger befürworteten Ausstellung der Schmähplastik in einem Museum entgegen. Auch der Gefahr, die Plastik könne als Element der religiösen Verkündigung wahrgenommen werden, sei durch ihre Einbindung in das Ensemble aus Mahnmal, Informationstafel und Relief entgegengewirkt.

Ursprüngliche Wirkung hier neutralisiert

Die Präsentation eines ursprünglich beleidigend gemeinten Gebäudeteiles im originalen Bauzustand sei nicht notwendigerweise beleidigend. Vielmehr könne eine Kommentierung des historischen Kontextes die ursprüngliche Wirkung neutralisieren. Dies sei bei der Wittenberger Schmähplastik der Fall, stellte das OLG klar.

OLG Naumburg - 9 U 54/19

Redaktion beck-aktuell, 5. Februar 2020.