OLG Köln: Kohl-Zitate bleiben im Wesentlichen verboten

Im Rechtsstreit um das Buch “Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle“ bleiben die vom verstorbenen Altbundeskanzler beziehungsweise dessen Erbin angegriffenen Textstellen im Wesentlichen verboten. Das Oberlandesgericht Köln bestätigte mit Urteil vom 29.05.2018 in weiten Teilen die erstinstanzlich gegenüber den Buchautoren und dem Verlag ausgesprochene Verpflichtung, einzeln bezeichnete Textstellen nicht zu veröffentlichen (Az.: 15 U 65/17).

OLG: Hauptautor als “Ghostwriter“ zur Verschwiegenheit verpflichtet

Bei der Unterlassungsverpflichtung hat das Gericht im rechtlichen Ansatzpunkt zwischen dem Hauptautor des Buches auf der einen Seite und dem Co-Autor und dem Verlag auf der anderen Seite unterschieden. Der Hauptautor darf alle 116 angegriffenen Textstellen nicht weiterverbreiten. Das hatte bereits das Landgericht so entschieden. Der Hauptautor sei als “Ghostwriter“ des Altbundeskanzlers aus einem Rechtsverhältnis ähnlich dem Auftragsrecht umfassend zur Verschwiegenheit verpflichtet. Grundlage der mehrjährigen vertrauensvollen Zusammenarbeit sei gewesen, dass dem Verstorbenen ein Letztentscheidungsrecht über etwaige Veröffentlichungen zugestanden habe. Nur vor diesem Hintergrund habe er sich gegenüber dem Hauptautor geöffnet und diesem Zugang zu geschützten Unterlagen wie etwa seiner Stasi-Akte ermöglicht.

Verschwiegenheitspflicht des Hauptautors endete nicht mit Tod des Altkanzlers

Das Letztentscheidungsrecht des Verstorbenen sei bei den ersten – in einem anderen Verlag einvernehmlich veröffentlichten – Bänden der Memoiren auch so gelebt worden. Im Kern habe dies auch der Hauptautor so gesehen, wenn er sich selbst als “schreibender Untertan“ bezeichnet habe. Spätestens mit Kündigung der Zusammenarbeit durch den Altbundeskanzler im Jahr 2009 sei klar gewesen, dass dieser nicht mit der Veröffentlichung seiner aufgenommenen Äußerungen einverstanden gewesen sei. Die Verschwiegenheitspflicht ende auch nicht mit dem Tod des Erblassers.

Co-Autor und Verlag trifft Unterlassungspflicht aus postmortalem Persönlichkeitsrecht

Der Co-Autor und der Verlag dürften wörtliche Zitate, die in 115 angegriffenen Textstellen enthalten sind, nicht weiterverbreiten, so das Gericht weiter. Insoweit wurde das landgerichtliche Urteil in geringem Umfang zu Gunsten der Beklagten abgeändert. Der Co-Autor und der Verlag seien mit dem Altbundeskanzler nicht wie der Hauptautor durch eine Vereinbarung verbunden gewesen. Sie treffe aber eine Unterlassungspflicht, weil die angegriffenen Zitate das postmortale Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen verletzten. Acht Zitate seien schon deshalb verboten, weil der Altbundeskanzler ausweislich der Tonbandaufnahmen beziehungsweise der dazu existierenden Transkripte schon während des Gesprächs gesagt habe, dass die entsprechenden Aussagen nicht veröffentlicht werden sollten (“Sperrvermerkszitate“).

Kontextverfälschungen dürfen nicht veröffentlicht werden

Hierzu gehören beispielsweise im Buch wiedergegebene Aussagen zu Lady Diana, bei denen der Verstorbene unmittelbar vor dem Zitat gesagt habe “Darüber schreiben wir nichts“. 41 Zitate seien unzulässig, weil das Zitat unrichtig oder im Buch der Kontext verfälscht worden sei (“Kontextverfälschungen“). Hierzu zähle beispielswese ein Zitat, wonach Margaret Thatcher auf Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs “gern eingeschlafen“ sei. Im Kontext des Buches solle das Zitat belegen, dass der Altbundeskanzler die ehemalige britische Regierungschefin als “sonderbares Exemplar“ vorgeführt habe. Aus dem Kontext der Tonbandaufnahmen ergebe sich dagegen, dass der Altbundeskanzler ein konkretes Erlebnis geschildert habe, bei dem es durchaus Grund für Müdigkeit gegeben habe und das Verhalten der englischen Premierministerin eher beiläufig erwähnt habe.

Auch Zitat über Tischmanieren von Merkel bleibt tabu

Auch ein Zitat betreffend die Tischmanieren der amtierenden Bundeskanzlerin sei in einem verfälschten Kontext dargestellt worden. Während die Einbindung des Zitats im Buch nahelege, der Altbundeskanzler wolle die frühere politische Weggefährtin im Rahmen einer Generalabrechnung abqualifizieren (“King Lear aus der Pfalz hält Gerichtstag über seine missratene Brut“), ergebe sich aus dem Gesamtkontext des Transkriptes - Tonbandaufnahmen hierzu wurden nicht vorgelegt -, dass sich die Aussage auf die elementaren Veränderungen bezog, die die Menschen in den neuen Bundesländern gerade und auch im Hinblick auf die Veränderung der Gesellschafts- und Konfessionsstruktur bewältigen mussten. Die Aussage enthalte in der Zielrichtung keinen Vorwurf gegen die amtierende Bundeskanzlerin, sondern vielmehr gegen die Bevölkerung der alten Bundesländer, die für diese Bewältigung der Veränderungen kein Verständnis aufgebracht hätten.

Weitere Zitate aus Kontext gerissen oder unzulässig kombiniert

Weitere 18 Zitate seien unzulässig, weil verschiedene Äußerungen des Altbundeskanzlers, die in unterschiedlichen Kontexten geäußert worden waren, im Buch so aneinandergereiht wurden, dass der unzutreffende Eindruck eines durchgängigen Redeflusses des Verstorbenen entstand (“Kombizitate“). Beispielsweise seien im Buch zwei nicht zusammenhängende Äußerungen betreffend den ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten aus Nordrhein-Westfalen innerhalb eines längeren Textes willkürlich kombiniert worden, ohne dass dies für den Leser erkennbar sei. Auch die weiteren wörtlichen Zitate seien unzulässig, weil an deren wörtlicher Offenbarung kein überwiegendes Interesse bestanden habe.

Schützenswerte Belange des Altbundeskanzlers wurden rücksichtslos missachtet

Dem Co-Autor und dem Verlag sei bekannt gewesen, dass der Hauptautor durch die ungenehmigte Weitergabe der Tonbandaufzeichnungen die ihn treffende Verschwiegenheitsverpflichtung gebrochen habe, so das OLG weiter. Sie hätten die Umstände gekannt, unter denen die Aufzeichnungen entstanden waren und gewusst, dass sie als reine Stoffsammlung für die Lebenserinnerungen des Altbundeskanzlers dienen sollten. Über die schützenswerten Belange des Altbundeskanzlers hätten sich der Co-Autor und der Verlag indes rücksichtslos hinweggesetzt, ohne dass dies durch ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse gerechtfertigt gewesen wäre. Der im Vorwort des Buches formulierte Wunsch, zu verhindern, dass die zweite Ehefrau des Altbundeskanzlers die von ihr vermeintlich beanspruchte Deutungshoheit über dessen Leben und politisches Wirken erhalte, rechtfertige nicht, dessen wörtliche Äußerungen gegen seinen ausdrücklichen Willen an die Öffentlichkeit zu bringen.

Postmortales Persönlichkeitsrecht genießt schwächeren Schutz

Das Landgericht habe noch zu Lebzeiten des Altbundeskanzlers zu Recht die angegriffenen Äußerungen vollumfänglich untersagt. Im Berufungsverfahren habe sich die Rechtslage insoweit geändert, als durch den Tod des Altbundeskanzlers dieser in Gestalt des postmortalen Persönlichkeitsrechts nur noch einen schwächeren Schutz genieße als der lebende Mensch. Daher blieben bei 115 der angegriffenen Textstellen nur noch die darin enthaltenen wörtlichen Äußerungen verboten. Zitate seien eine besonders scharfe Waffe im politischen und gesellschaftlichen Meinungskampf, da der Zitierte als Zeuge gegen sich selbst ins Feld geführt werde. Dies sei auch bei einem Verstorbenen der Fall, weil dessen Lebensbild ohne eine ausreichende Möglichkeit der Gegenwehr den entsprechenden Auswirkungen in der öffentlichen Meinungsbildung ausgesetzt sei. Eine der Textstellen enthalte kein wörtliches Zitat und sei daher nicht zu untersagen. Das OLG hat die Revision zugelassen.

OLG Köln, Urteil vom 29.05.2018 - 15 U 65/17

Redaktion beck-aktuell, 30. Mai 2018.