Erstes OLG bestätigt: Rechtswahlklausel von Ryanair unwirksam
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Die Wirksamkeit der Rechtswahlklausel von Ryanair, nach der auf den Vertrag zwischen der Fluggesellschaft und ihrem Fluggast irisches Recht anwendbar sein soll, ist seit Jahren Streitthema in Klagen rund um die Erstattung von Teilbeträgen für nicht angetretene Flüge. Zum ersten Mal hat mit dem Oberlandesgericht Köln ein Obergericht die Rechtswahlabrede für unwirksam erklärt. Sie verstoße gegen die EU-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen.

Fluggäste verlangen Auskunft und Rückzahlungen

In mehreren Sammelklagen haben Fluggäste, die ihr Flugticket online bei Ryanair gebucht haben, von Ryanair im Weg der Stufenklage zunächst Auskunft über die im Rahmen der Buchungen vereinnahmten Steuern und Gebühren verlangt, um diese in einem zweiten Schritt dann zurückzuverlangen. Zu diesem Zweck haben sie ihre Forderung an ein hierauf spezialisiertes Inkassounternehmen abgetreten. Ryanair hat die Auskunft unter Berufung auf die Geltung irischen Rechts verweigert. In den vergangenen Monaten sind einige Entscheidungen deutscher Landgerichte ergangen, die diese Rechtswahlabrede für rechtswidrig erklärt haben, da sie gegen EU-Recht verstoße. Dieser Rechtauffassung schloss sich nun erstmals ein deutsches Obergericht an und bestätigte das Teilurteil des LG Köln vom 17.07.2020, mit dem dieses dem Auskunftsersuchen zahlreicher Fluggäste stattgegeben hatte.

OLG Köln verweist auf EuGH-Rechtsprechung

Das OLG räumte zwar ein, dass sich die Wirksamkeit der Rechtswahlabrede gemäß Art. 3 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom-I-VO) nach irischem Recht richte. Zum Kontrollmaßstab einer Rechtswahlklausel in einem Vertrag zwischen einem Verbraucher und einer Fluggesellschaft gehörten aber nach jüngster Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der diese Frage in einem Vorabentscheidungsverfahren zu klären hatte, auch die der Umsetzung der EWG-RL 93/13 (Klausel-RL) dienenden Vorschriften, welche richtlinienkonform auszulegen seien (C-519/19).

Klausel intransparent und irreführend

Im vorliegenden Fall erfülle die Rechtswahlabrede von Ryanair nicht die Mindestanforderungen nach Art. 3 Abs. 1 und 5 der Klausel-RL. Sie bringe nämlich zum Ausdruck, dass nur "Übereinkommen" (definiert als Montrealer Übereinkommen von 1999) und - nicht näher definierte - "einschlägige Gesetze" der Geltung des irischen Rechts für das Vertragsverhältnis mit der Beklagten entgegenstehen könnten. Ryanair mache es einem durchschnittlichen Verbraucher unmöglich, sich ein umfassendes Bild über sämtliche für ihn relevante verbraucherschützenden Vorschriften zu machen. Dies verstoße gegen das Transparenzgebot. Darüber hinaus sei die Klausel auch irreführend. Obwohl vorliegend die Bestimmungen der Fluggastrechte-VO dem ausbedungenen irischen Recht vorgingen, werde diese als vorrangiges Recht gar nicht genannt und ihr Vorrang von dem Verweis auf "Übereinkommen" und "einschlägige Gesetze" nicht erfasst.

OLG weist Zuständigkeitsrüge zurück

Im Übrigen weist das OLG auch die von Ryanair erhobene Zuständigkeitsrüge zurück und stellt die örtliche internationale Zuständigkeit des erstinstanzlichen Landgerichts nach der EU-Verordnung 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel-Ia-VO) fest. Da die Fluggesellschaft ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats habe, könne sie gemäß Art. 5 Abs. 1, 7 Brüssel-Ia-VO in einem anderen Mitgliedsstaat verklagt werden, sofern "Ansprüche aus einem Vertrag" den Gegenstand des Verfahrens bilden. Dies sei vorliegend der Fall. Der Kausalzusammenhang zwischen dem Rückgewähranspruch (der sich aus § 648 Satz 2 BGB ergebe) und der vertraglichen Beziehung reiche für die Begründung von "Ansprüchen aus einem Vertrag" aus.

Keine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Brüssel-Ia-VO

Ryanair könne seine Gerichtsstandsklausel auch nicht der klagenden Inkassogesellschaft entgegenhalten, an die der Fluggast seine Forderung abgetreten hat. Zwar blieben Gerichtsstandsvereinbarungen nach deutschem Recht von einer Abtretung grundsätzlich unberührt. Der EuGH habe aber jüngst festgestellt, dass Gerichtsstandsklauseln in einem Vertrag zwischen einem Verbraucher und einer Fluggesellschaft, die dem Gericht, in dessen Bezirk sich der Sitz der Fluggesellschaft befindet, eine ausschließliche Zuständigkeit zuweisen, als missbräuchlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Klausel-RL angesehen und von einem nationalen Gericht für unanwendbar erklärt werden können. Außerdem sei der Anwendungsbereich der für Verbraucherverträge geltenden Klausel-RL nicht von der Identität der Parteien des fraglichen Rechtsstreits abhängig, sondern vielmehr von der Eigenschaft der Vertragsparteien.

Kein Leistungsverweigerungsrecht nach § 410 Abs. 1 Satz 1 BGB

Schließlich habe sich Ryanair in seiner Berufung auch nicht auf ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 410 Abs. 1 Satz BGB berufen können. Diese Schuldnerschutzbestimmung lege fest, dass der Schuldner einer abgetretenen Forderung dem neuen Gläubiger gegenüber zur Leistung nur gegen Aushändigung einer vom bisherigen Gläubiger ausgestellten Abtretungsurkunde verpflichtet ist. Ob die Vorlage einer Fotokopie der Abtretungsurkunde ausreiche sei zwar vom BGH noch nicht abschließend entschieden worden, habe aber vorliegend dahinstehen können. Die Berufung auf § 410 BGB sei jedenfalls rechtsmissbräuchlich, da Ryanair kein schutzwürdiges Interesse glaubhaft gemacht habe.

OLG Köln, Beschluss vom 29.01.2021 - 9 U 184/20

Redaktion beck-aktuell, 23. Februar 2021.