OLG Karlsruhe: Schadensersatzanspruch gegen Versicherer wegen Verletzung der Beratungspflicht

VVG §§ 6 I und IV, 167, 168 III; ZPO § 851c; InsO §§ 35 I, 36 I; BGB § 280 I

Verlangt der Versicherungsnehmer die Umgestaltung seiner Lebensversicherung «in Pfändungsschutz für Altersrente nach § 851c ZPO entsprechend», hat der Versicherer ihn nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe über die für eine Umwandlung nach § 167 VVG erforderlichen Erklärungen zu beraten. Misslinge die Erlangung von Pfändungsschutz gemäß § 167 VVG wegen eines Fehlers des Versicherers, komme ein Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers in Betracht. Der Versicherer habe einen Schaden des Versicherungsnehmers zu ersetzen, wenn die Lebensversicherung bei pflichtgemäßem Verhalten im späteren Insolvenzverfahren gemäß § 36 Abs. 1 InsO geschützt gewesen wäre. Der Versicherungsnehmer könne, so das Gericht weiter, die Umwandlung der Lebensversicherung gemäß § 167 VVG für den Schluss der zum Zeitpunkt seines Antrags laufenden Versicherungsperiode verlangen. Werden die erforderlichen Willenserklärungen des Versicherers und des Versicherungsnehmers erst nach Ablauf dieser Periode abgegeben, erfolge die Umwandlung rückwirkend.

OLG Karlsruhe, Urteil vom 27.04.2018 - 9 U 62/16 (LG Freiburg), BeckRS 2018, 23513

Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 21/2018 vom 18.10.2018

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Sachverhalt

Der Kläger macht gegen die Beklagte, bei der er eine Lebensversicherung unterhielt, Schadensersatzansprüche geltend, weil die Beklagte einen Umwandlungsantrag gemäß § 167 VVG nicht sachgerecht behandelt habe. Das Versicherungsjahr begann jeweils am 01.08., es war eine halbjährliche Beitragszahlung vereinbart.

Da der Kläger mit seinem Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war, sandte er am 31.01.2012 ein Schreiben an die Beklagte, worin er darum bat, die Lebensversicherung «umzugestalten in Pfändungsschutz für Altersrente nach § 851c ZPO entsprechend». Der Versicherer sandte dem Kläger «wunschgemäß» ein Formular «Verwertungsausschluss gemäß § 168 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz», das der Kläger unterzeichnet zurücksandte.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers machte der Insolvenzverwalter für die Lebensversicherung «Nichterfüllung gemäß § 103 InsO» geltend und forderte Abrechnung des Vertrages sowie Auszahlung des Rückkaufswertes. Dem kam die Beklagte nach. Das Insolvenzverfahren wurde inzwischen beendet.

Der Kläger macht geltend, er habe nicht erkannt, dass die ihm von der Beklagten übersandten Unterlagen nicht geeignet waren, die von ihm beantragte Umwandlung umzusetzen. Er verlangt, so gestellt zu werden, als wäre die Versicherung nicht aufgelöst worden, und mit ihm zu einem entsprechenden Tarif unter Berücksichtigung seines alten Guthabens einen Vertrag abzuschließen, der eine pfändungsgeschützte Altersrente nach § 851c Abs. 1 ZPO gewährt.

Das Landgericht gab der Klage statt. Die Berufung des Versicherers blieb erfolglos.

Rechtliche Wertung

Die Beklagte sei nach § 280 Abs. 1 BGB schadensersatzpflichtig, da sie gegenüber dem Kläger Pflichten aus dem Versicherungsvertrag verletzt habe, entschied das OLG. Auf den Umwandlungsantrag des Klägers nach § 167 VVG sei die Beklagte verpflichtet gewesen, ihm ein oder mehrere Angebote für die beabsichtigte Umwandlung zu machen. Außerdem habe sie den Kläger nach § 6 Abs. 1 und 4 VVG in geeigneter Weise beraten müssen. Das von der Beklagten gemachte Angebot habe sich vom Antrag des Klägers grundlegend unterschieden, da ein Verwertungsausschluss gemäß § 168 Abs. 3 VVG - anders als eine Umwandlung gemäß § 167 VVG - keinen Insolvenzschutz für die Lebensversicherung, die der Altersversorgung dienen soll, gewähre.

Dieser Fehler der Beklagten sei auch kausal für einen Schaden des Klägers, der darauf habe vertrauen dürfen, dass das Angebot der Beklagten seinen Antrag umsetze. Ein Mitverschulden des Klägers sei zu verneinen. Es sei davon auszugehen, dass er ein korrektes Umwandlungsangebot der Beklagten angenommen habe. Das Umwandlungsverlangen des Klägers kurz vor Stellung des Insolvenzantrags sei auch nicht rechtsmissbräuchlich gewesen. Er habe damit im Einklang mit dem Gesetzeszweck von der in § 167 VVG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen wollen.

Keine Rolle spiele, dass die nächste Versicherungsperiode am 01.08.2012, also erst nach Stellung des Insolvenzantrags am 13.02.2012 und Verfahrenseröffnung am 07.03.2012 abgelaufen sei, da die Beklagte nach dem Wortlaut des § 167 VVG verpflichtet gewesen sei, den Vertrag rückwirkend zum Schluss der bei Eingang des Antrags laufenden Versicherungsperiode, also zum 01.02.2012 umzuwandeln. Daran ändere nichts, dass die Willenserklärungen zur Umwandlung des Vertrages erst nach dem 01.02.2012 abgegeben worden wären.

Praxishinweis

Das OLG-Urteil berücksichtigt die Entscheidung des BGH vom 22.7.2015 (Az.: IV ZR 223/15, r+s 2015, 555, Anmerkung Grams, FD-VersR 2015, 371901), wonach der Pfändungsschutz erst dann besteht, wenn der Versicherungsvertrag auch tatsächlich umgewandelt ist und ein den Anforderungen des § 851c ZPO entsprechender Vertragsinhalt endgültig feststeht, also unwiderruflich und unabänderlich ist. Insofern ist also der bloße Umwandlungsantrag des Versicherungsnehmers nicht ausreichend.

Das OLG ging dabei davon aus, dass die Umwandlung des Vertrages bei pflichtgemäßer Behandlung durch den Versicherer vor Insolvenzeröffnung am 07.03.2012 erfolgt wäre. Auch der BGH hatte in der genannten Entscheidung einen möglichen Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer (dort für den Fall einer verzögerten Bearbeitung des Umwandlungsantrags) als möglich dargestellt (dies aber offen gelassen, weil dort nicht streitgegenständlich).

Redaktion beck-aktuell, 6. November 2018.