OLG Hamm verneint grundsätzliche kommunale Winterdienstpflicht auf Straße von geringer Verkehrsbedeutung

Allein die Meldung von Glatteisbildung verpflichtet eine Kommune nicht zum Winterdienst auf Straßen mit geringer Verkehrsbedeutung. Das hat das Oberlandesgericht Hamm am 18.11.2016 entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Hagen abgeändert (Az.: 11 U 17/16, rechtskräftig).

Unfall wegen Glättebildung auf nicht geräumter wenig befahrener Straße

Die Ehefrau des Klägers hatte mit dessen Pkw eine wenig befahrene und außerhalb geschlossener Ortschaften liegende Straße befahren, die einige Häuser mit circa 40 Bewohnern an das allgemeine Straßennetz anschließt. Aufgrund bestehender Glatteisbildung verlor sie auf der bergab und kurvig verlaufenden Straße die Kontrolle über das Fahrzeug, welches von der Fahrbahn abkam, sich überschlug und auf der Seite liegen blieb. Circa ein bis zwei Stunden vor dem Unfall hatte eine Bürgerin beim zuständigen Straßenreinigungsamt der beklagten Stadt angerufen, die Glättebildung auf der Straße gemeldet und um Abhilfe gebeten. Auf der Straße hatte die Beklagte am Unfalltag, auch nach der genannten Meldung, keinen Winterdienst durchgeführt. Der Kläger meint, die Beklagte habe mit dem unterlassenen Winterdienst die ihr von Amts wegen obliegende Räum- und Streupflicht verletzt. Von der Beklagten hat er deswegen circa 11.300 Euro Reparaturkosten für das beschädigte Fahrzeug verlangt.

OLG verneint Amtspflichtverletzung der Stadt

Auf die Berufung der noch in erster Instanz zum Schadenersatz verurteilten Beklagten hat das OLG Hamm die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe kein Schadenersatzanspruch zu, denn die Beklagte habe ihre Amtspflichten nicht verletzt, indem sie am Schadenstag bis zum Zeitpunkt des Unfalls keinen Winterdienst auf der Straße durchgeführt habe.

Räum- und Streupflicht steht unter Vorbehalt der Zumutbarkeit

Inhalt und Umfang der einer Kommune obliegenden winterlichen Räum- und Streupflicht richte sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges seien zu berücksichtigen, ebenso seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Ergebe sich hieraus eine Räum- und Streupflicht, stehe sie bei Kommunen sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, sodass es auch auf ihre Leistungsfähigkeit ankomme. Zudem habe sich jeder Verkehrsteilnehmer gerade im Winter den ihm erkennbar gegebenen Straßenverhältnissen anzupassen.

Grundsätzlich keine Räum- und Streupflicht auf wenig befahrenen Straßen

Ausgehend hiervon sei schon im Bereich geschlossener Ortschaften anerkannt, dass eine Räum- und Streupflicht eine allgemeine Glättebildung voraussetze und nicht nur das Vorhandensein vereinzelter Glättestellen, so das OLG. In einer derartigen Situation seien zunächst die Fahrbahnen der Straßen an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen zu bestreuen. Erst danach seien weniger bedeutende Straßen- und Wegestrecken zu sichern. Außerhalb geschlossener Ortslagen seien lediglich die für den Kraftfahrzeugverkehr besonders gefährlichen Stellen zu bestreuen. Auf wenig befahrenen Straßen bestehe deswegen grundsätzlich keine Räum- und Streupflicht, sofern nicht besonders gefährliche Stellen bekannt seien, auf die sich ein Straßenbenutzer nicht einstellen könne.

Untergeordnete Verkehrsbedeutung rechtfertigt Absehen von Winterdienst

Bei Anwendung dieser Grundsätze ergebe sich im zu entscheidenden Fall keine Räum- und Streupflicht und damit keine Pflichtverletzung der beklagten Stadt. Die von der Ehefrau des Klägers befahrene Straße befinde sich außerhalb geschlossener Ortschaften. Als wenig befahrene Straße, die nur wenige Häuser mit dem Straßennetz verbinde, fehle ihr die Verkehrswichtigkeit. Am Unfalltage habe es zudem lediglich an einzelnen Stellen Glatteisbildung gegeben. Aufgrund der untergeordneten Verkehrsbedeutung habe die Beklagte daher von einem Winterdienst auf der Straße – auch nach der gemeldeten Glatteisbildung – absehen dürfen.

Anwohner müssen sich winterlichen Straßenverhältnissen anpassen

Die Beklagte habe davon ausgehen dürfen, dass sich die Anwohner den winterlichen Verhältnissen anpassen und notfalls Schneeketten anlegen oder vom Befahren der Straße Abstand nehmen und zu Fuß gehen würden. Sehe man das anders, wäre die Beklagte in dem durch zahlreiche Höhenunterschiede geprägten Gemeindegebiet gehalten, eine Vielzahl von Straßen mit geringer Verkehrsbedeutung abzustreuen. Dieser Aufwand sei ihr nicht zumutbar. Die Beklagte sei schließlich auch nicht gehalten gewesen, einen Winterdienst in der Weise vorzuhalten, dass dieser von Gemeindeangehörigen durch eine bloße Meldung von Glatteisbildung abgerufen werden könne, ohne dass es auf die genannten Kriterien zur Verkehrsbedeutung der gemeldeten Straße ankomme.

Trotz Hinweises keine Anhaltspunkte für Unbefahrbarkeit der Straße

Aufgrund der am Unfalltag erfolgten Meldung habe die Beklagte zudem keine zwingenden Anhaltspunkte dafür gehabt, dass es einem aufmerksamen und vorsichtigen Benutzer der Straße nicht mehr möglich sein würde, die Straße ohne Schaden zu nutzen und den Gefahrenstellen auszuweichen. Dass die getroffene Entscheidung der Beklagten vertretbar gewesen sei, werde auch dadurch gestützt, dass es einer anderen Anwohnerin vor und nach dem Unfall gelungen sei, die nicht abgestreute Straße unfallfrei zu befahren.

OLG Hamm, Urteil vom 18.11.2016 - 11 U 17/16

Redaktion beck-aktuell, 9. Februar 2017.

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