OLG Hamm verneint Öffentlichkeit eines Weges durch unvordenkliche Verjährung

Ein Weg, der über ein Privatgrundstück führt und nicht als öffentlicher Weg gewidmet ist, kann nach dem Grundsatz der unvordenklichen Verjährung wie ein öffentlicher Weg anzusehen sein, wenn er seit Menschengedenken unter stillschweigender Duldung des nicht wegebau- oder unterhaltungspflichtigen Privateigentümers und nach allgemeiner Meinung zu Recht als öffentlicher Weg genutzt worden ist. Dies bekräftigt das Oberlandesgericht Hamm in einem Urteil vom 19.06.2017. Im entschiedenen Fall sah es die Voraussetzungen der unvordenklichen Verjährung aber nicht hinreichend substantiiert dargelegt (Az.: 5 U 20/16, BeckRS 2017, 126663). Gegen das Urteil ist beim Bundesgerichtshof unter dem Aktenzeichen V ZR 208/17 die Revision anhängig.

Über Privatgrundstück führender Weg als öffentlicher Weg zu qualifizieren?

Zwei benachbarte Grundstückseigentümer aus Münster stritten darüber, ob ein über die Grundstücke der beklagten Eigentümer verlaufender Weg, der früher eine Verbindung von der (jetzigen) "Gievenbecker Reihe" zur (jetzigen) "Potstiege" darstellte, von den Klägern wie ein öffentlicher Weg genutzt werden darf. Auch ohne diesen Weg ist das von den Klägern 2011 erworbene Grundstück der Kläger an das öffentliche Straßen- und Wegenetz angeschlossen. Die Lage des umstrittenen Weges war in den 1970er Jahren verändert worden, als eine frühere durch eine anders verlaufende Wegstrecke ersetzt wurde. Derzeit versperren auf dem Grundstück der Beklagten aufgestellte Zäune den Zugang zu dem Ersatzweg, der heute auch deswegen keine durchgehende Verbindung mehr darstellt, weil eine hinter dem Grundstück der Beklagten liegende Brücke, die den Weg über einen Bach führte, bereits vor Jahren abgerissen wurde.

Kläger beriefen sich auf Grundsatz der unvordenklichen Verjährung

Die Kläger meinten, sie dürften den über das Grundstück der Beklagten verlaufenden Ersatzweg als öffentlichen Weg nutzen und verwiesen darauf, dass es an der fraglichen Stelle seit jeher einen öffentlichen Weg gegeben habe. Sie beriefen sich dabei auf den Grundsatz der unvordenklichen Verjährung. Der Weg sei mit einer früheren Hofanlage entstanden und als Verbindungsweg schon auf einem königlich-preußischen Stadtplan der Provinzhauptstadt Münster von 1839 eingetragen gewesen. Seit Menschengedenken sei der Weg von jedermann als öffentlicher Weg genutzt worden, seine Entstehung und die ursprünglichen rechtlichen Verhältnisse lägen im Dunkeln. Nach Änderung des Wegeverlaufs müsse nunmehr der Ersatzweg als öffentlicher Weg zu nutzen sein. Das Landgericht verneinte eine Duldungspflicht der Beklagten. Dagegen legten die Kläger Berufung ein.

OLG: Voraussetzungen der unvordenklichen Verjährung nicht schlüssig dargelegt

Das OLG hat die LG-Entscheidung bestätigt und die Berufung zurückgewiesen. Die Kläger hätten nicht hinreichend vortragen können, dass der Teil der Grundstücke der Beklagten, auf dem sich der Ersatzweg befinde und der behauptete historische Weg befunden habe, nach dem Grundsatz der unvordenklichen Verjährung als öffentlicher Weg zu gelten habe. Nach diesem Grundsatz könne die Öffentlichkeit eines alten Weges dann angenommen werden, wenn der Weg seit Menschengedenken unter stillschweigender Duldung des nicht wegebau- oder unterhaltungspflichtigen Privateigentümers und nach allgemeiner Überzeugung zu Recht als öffentlicher Weg genutzt worden sei. Die Anwendung des Grundsatzes setze nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung voraus, dass der beanspruchte Zustand in einem Zeitraum von 40 Jahren bestanden habe und als rechtens angesehen worden sei. Zudem dürfe es weitere 40 Jahre vorher keine Erinnerung an einen anderen Zustand seit Menschengedenken gegeben haben.

Strenge Anforderungen an Nachweis der unvordenklichen Verjährung zu stellen

Laut OLG sind an den Nachweis der unvordenklichen Verjährung mit Rücksicht auf die Rechte des privaten Eigentümers, über dessen Grund ein öffentlicher Weg verlaufe, strenge Anforderungen zu stellen. So könne eine unvordenkliche Verjährung bei einem im Privateigentum stehenden alten Weg nicht schon allein deswegen angenommen werden, weil der Weg seit langer Zeit auch für den allgemeinen Verkehr genutzt werde. Es sei gerade in ländlichen Räumen durchaus üblich gewesen und immer noch üblich, die Benutzung im Privateigentum stehender Wege auch durch fremde Personen zu dulden, ohne dass aus einem solchen Verhalten des Grundeigentümers der Schluss gezogen werden könne, er wolle sich seiner privaten Verfügungsmacht über den Weg begeben.

Ersatzweg erst nach 1968 entstanden und mit früherem Weg nicht identisch

Nach diesen Maßgaben kommt das OLG zu dem Ergebnis, dass der Ersatzweg nicht nach den Grundsätzen der unvordenklichen Verjährung als öffentlicher Weg anzusehen ist. Er erfülle die genannten Voraussetzungen nicht, weil er erst nach 1968 entstanden und in seinem Verlauf nicht mit dem früheren Weg identisch sei.

Ursprünglicher Weg ebenfalls nicht als öffentlicher Weg anzusehen

Auch lasse sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der beschriebene ursprüngliche Wegeverlauf nach den Grundsätzen der unvordenklichen Verjährung ein öffentlicher Weg war, so das OLG weiter. Allein die Wiedergabe des Weges in alten Plänen oder Zeichnungen stelle kein Indiz für seine Öffentlichkeit dar. Gegen seine Öffentlichkeit spreche vorliegend vielmehr, dass der ursprüngliche Weg mitten über die frühere, im Privatbesitz befindliche Hofanlage geführt haben solle. Dafür, dass frühere Eigentümer insoweit einen ihrer privaten Verfügungsbefugnis entzogenen, öffentlichen Weg hätten dulden wollen, seien keine Anhaltspunkte vorgetragen.

OLG Hamm, Urteil vom 19.06.2017 - 5 U 20/16

Redaktion beck-aktuell, 9. Oktober 2017.

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