OLG Hamm: Radwegnutzung in falscher Richtung begründet bei Kollision mit wartepflichtigem Pkw 1/3 Mitverschulden

Kollidiert eine Radfahrerin, die einen Radweg entgegen der Fahrtrichtung befährt, mit einem wartepflichtigen Pkw, ist eine Eigenhaftung der Radfahrerin von 1/3 gerechtfertigt. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm mit Urteil vom 04.08.2017 entschieden. Dass die Radfahrerin keinen Schutzhelm getragen habe, erhöhe ihren Eigenhaftungsanteil bei dem Unfallereignis aus dem Jahre 2013 nicht (Az.: 9 U 173/16, BeckRS 2017, 120485).

Unbehelmte Radfahrerin benutzte Radweg in falscher Richtung

Die Klägerin befuhr im November 2013 mit ihrem Fahrrad einen linksseitigen Geh- und Radweg auch dann noch, als dieser nur noch für Radfahrer aus der entgegengesetzten Fahrtrichtung freigegeben war. Als sie die Einmündung einer untergeordneten Straße überqueren wollte, um dann nach links in diese Straße einzubiegen, kollidierte sie mit dem an der Einmündung rechts abbiegenden Pkw des Beklagten. Die Klägerin stürzte auf die Motorhaube, rutsche mit ihrem Rad über die Straße und schlug mit dem unbehelmten Kopf auf der Fahrbahn auf. Mit einem ein Schädel-Hirn-Trauma, einem Schädel-Basis-Bruch und einer Kniefraktur erlitt sie schwerste Verletzungen.

LG nahm Mitverschulden der Klägerin von 20% an

Von dem Beklagten und seinem Haftpflichtversicherer verlangte die Klägerin Schadensersatz, unter anderem 40.000 Euro Schmerzensgeld, eine monatliche Schmerzensgeldrente von 300 Euro, etwa 16.000 Euro materiellen Schadensersatz sowie einen vierteljährlich mit 252 Euro auszugleichenden Haushaltsführungsschaden. Das Landgericht Essen klärte zunächst den Grund der Haftung auf und sprach der Klägerin – unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 20% – 80 % ihres Schadens zu. Dagegen legten die Parteien Berufung ein.

OLG: Kein Verlust des Vorfahrtsrechts durch Befahren des Radwegs in falscher Richtung

Das OLG hat das Mitverschulden der Klägerin mit 1/3 bewertet. Der Beklagte habe den Unfall in erheblichem Umfang verschuldet, auch wenn er zunächst im Einmündungsbereich angehalten habe und dann langsam abgebogen sei. Gegenüber der Klägerin sei er wartepflichtig gewesen. Die Klägerin habe ihr Vorfahrtsrecht nicht dadurch verloren, dass sie den kombinierten Geh- und Radweg entgegen der Fahrtrichtung befuhr, obwohl dieser für eine Nutzung in ihrer Fahrtrichtung nicht mehr freigegeben war. Ein Radfahrer behalte sein Vorrecht gegenüber kreuzenden und einbiegenden Fahrzeugen auch dann, wenn er verbotswidrig den linken von zwei vorhandenen Radwegen nutze.

Verbotswidriges Benutzen des Radwegs begründet Mitverschulden

Die Klägerin habe den Unfall aber mitverschuldet, weil sie mit ihrem Fahrrad den an der Unfallstelle vorhandenen Geh- und Radweg entgegen der freigegebenen Fahrtrichtung befuhr, so das OLG weiter. Dass die Klägerin auf dem für ihre Fahrtrichtung nicht freigegebenen Weg erst wenige Meter zurückgelegt habe, entlaste sie nicht. Sie habe sich verbotswidrig auf dem Radweg befunden, den sie richtigerweise nur noch – ihr Fahrrad schiebend – als Fußgängerin hätte benutzen dürfen.

Keine Anspruchskürzung wegen fehlenden Schutzhelms

Das Nichttragen eines Schutzhelms rechtfertigt laut OLG keine Anspruchskürzung zulasten der Klägerin. Zur Unfallzeit im Jahre 2013 habe keine gesetzliche Helmpflicht für Radfahrer bestanden. Das Tragen von Fahrradhelmen habe zudem nicht dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entsprochen. Dies habe Bundesgerichtshof im Jahre 2014 (BeckRS 2014, 14140), bezogen auf einen Unfall aus dem Jahre 2011, festgestellt. Anhaltspunkte dafür, dass sich das Verkehrsbewusstsein insoweit in den Jahren danach verändert habe, lägen nicht vor.

Vorrang der Klägerin begründete kein Vertrauen in verkehrsgerechtes Verhalten des Beklagten

Den Mitverschuldensanteil der Klägerin bewertet das OLG mit 1/3. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das der Klägerin nach wie vor zustehende Vorfahrtsrecht kein Vertrauen in ein verkehrsgerechtes Verhalten des Beklagten habe begründen können. Auch wenn der Beklagte mit seinem Fahrzeug zunächst vor dem querenden Geh- und Radweg angehalten habe, habe die verkehrswidrig fahrende Klägerin ohne weitere Anhaltspunkte nicht davon ausgehen dürfen, dass der Beklagte sie wahrgenommen habe und ihr den Vorgang einräumen würde.

OLG Hamm, Urteil vom 04.08.2017 - 9 U 173/16

Redaktion beck-aktuell, 30. August 2017.