OLG Hamm: Kli­ni­kum haf­tet nach Nie­ren­ent­fer­nung bei Acht­jäh­ri­gem für Ver­let­zung in­tra­ope­ra­ti­ver Auf­klä­rungs­pflicht

Stellt sich wäh­rend der Ope­ra­ti­on an der Niere eines acht­jäh­ri­gen Kin­des her­aus, dass der ur­sprüng­lich ge­plan­te Ein­griff nicht durch­führ­bar ist, kann eine neue Si­tua­ti­on vor­lie­gen, die eine neue Auf­klä­rung der sor­ge­be­rech­tig­ten El­tern über die zu ver­än­dern­de Be­hand­lung und ihre hier­zu er­teil­te Ein­wil­li­gung er­for­dert. Be­steht in die­sem Fall neben der Ent­fer­nung einer Niere grund­sätz­lich auch die Mög­lich­keit einer spä­te­ren nie­ren­er­hal­ten­den Ope­ra­ti­on, kann ein Auf­klä­rungs­de­fi­zit vor­lie­gen, wenn den Kin­des­el­tern ge­gen­über die Nie­ren­ent­fer­nung als ein­zig mög­li­che Be­hand­lung dar­ge­stellt wird. Das hat das Ober­lan­des­ge­richt Hamm mit Ur­teil vom 07.12.2016 ent­schie­den (Az.: 3 U 122/15, rechts­kräf­tig).

Kli­nik emp­fahl so­for­ti­ge Ent­fer­nung der lin­ken Niere

Der im Juli 2004 ge­bo­re­ne Klä­ger litt unter an­de­rem an mul­ti­plen Nie­ren­ge­webs­de­fek­ten und an einem er­wei­ter­ten Nie­ren­be­cken­kelch­sys­tem, wes­we­gen die linke Niere noch 22% ihrer Funk­ti­on hatte. Nach Vor­un­ter­su­chun­gen im be­klag­ten Kli­ni­kum, einer Be­denk­zeit für seine El­tern und einem mit ihnen ge­führ­ten Auf­klä­rungs­ge­spräch wurde der Klä­ger im Ja­nu­ar 2013 ope­riert. Bei der Ope­ra­ti­on soll­te eine neue Ver­bin­dung zwi­schen dem Nie­ren­be­cken und dem Harn­lei­ter ge­schaf­fen wer­den, um die Ab­fluss­ver­hält­nis­se der lin­ken Niere zu ver­bes­sern. In­tra­ope­ra­tiv stell­te sich her­aus, dass die ge­plan­te Re­kon­struk­ti­on auf­grund nicht vor­her­seh­ba­rer ana­to­mi­scher Ge­ge­ben­hei­ten nicht mög­lich war. Die Ope­ra­ti­on wurde un­ter­bro­chen, eine be­han­deln­de Ärz­tin schil­der­te den Kin­des­el­tern die ver­än­der­te Si­tua­ti­on und emp­fahl die so­for­ti­ge Ent­fer­nung der lin­ken Niere. Die Kin­des­el­tern stimm­ten zu, die Ope­ra­ti­on wurde fort­ge­setzt und die linke Niere des Klä­gers ent­fernt.

OLG Hamm gibt Schmer­zens­geld­kla­ge wegen Auf­klä­rungs­man­gels statt

Nach der Ope­ra­ti­on hat der Klä­ger die Ent­fer­nung der lin­ken Niere be­an­stan­det, Auf­klä­rungs­män­gel gel­tend ge­macht und vom Kli­ni­kum und der in­ter­ope­ra­tiv auf­klä­ren­den Ärz­tin Scha­den­er­satz ver­langt, unter an­de­rem ein Schmer­zens­geld in Höhe von – zu­letzt – 25.000 Euro. Die Klage hatte in zwei­ter In­stanz mit der Ma­ß­ga­be Er­folg, dass dem Klä­ger auf­grund eines Auf­klä­rungs­man­gels 12.500 Euro Schmer­zens­geld zu­ge­spro­chen wur­den.

Dar­stel­lung der Nie­ren­ent­fer­nung als al­ter­na­tiv­los war feh­ler­haft

Die El­tern des Klä­gers seien wäh­rend der Ope­ra­ti­on nicht ord­nungs­ge­mäß auf­ge­klärt wor­den, so das OLG Hamm. Als sich in­tra­ope­ra­tiv her­aus­ge­stellt habe, dass die ur­sprüng­lich ge­plan­te Re­kon­struk­ti­on nicht mög­lich ge­we­sen sei, habe eine neue Si­tua­ti­on vor­ge­le­gen, die eine ver­än­der­te Be­hand­lung er­for­der­lich ge­macht habe. Diese Si­tua­ti­on habe eine neue Auf­klä­rung und eine neue Ein­wil­li­gung der sor­ge­be­rech­tig­ten El­tern des Klä­gers er­for­dert. Hier­von seien auch die be­han­deln­den Ärzte aus­ge­gan­gen, sie hät­ten die Ope­ra­ti­on un­ter­bro­chen, um mit den El­tern das wei­te­re Vor­ge­hen zu be­spre­chen. Die dann er­folg­te Auf­klä­rung sei al­ler­dings de­fi­zi­tär ge­we­sen, weil die das Auf­klä­rungs­ge­spräch füh­ren­de Ärz­tin die Ent­fer­nung der lin­ken Niere als al­ter­na­tiv­los dar­ge­stellt und die so­for­ti­ge Nie­ren­ent­fer­nung emp­foh­len habe.

Mög­lich­keit spä­te­rer nie­ren­er­hal­ten­der Ope­ra­ti­on nicht aus­ge­schlos­sen

Nach den Aus­füh­run­gen des vom OLG hin­zu­ge­zo­ge­nen me­di­zi­ni­schen Sach­ver­stän­di­gen sei es in­tra­ope­ra­tiv nicht zwin­gend not­wen­dig ge­we­sen, die Niere so­fort zu ent­fer­nen. Es wäre mög­lich ge­we­sen, die Ope­ra­ti­on der­ge­stalt zu be­en­den, dass das Nie­ren­be­cken ver­schlos­sen und die Niere über eine Nie­ren-Haut-Fis­tel ab­ge­lei­tet werde, um da­nach die wei­te­re Vor­ge­hens­wei­se in Ruhe mit den El­tern zu be­spre­chen. Dabei habe neben der Nie­ren­ent­fer­nung auch die – wenn auch mit hö­he­ren Ri­si­ken und zwei­fel­haf­ten Er­folgs­aus­sich­ten ver­bun­de­ne – Mög­lich­keit be­stan­den, spä­ter nie­ren­er­hal­tend zu ope­rie­ren. Even­tu­ell hätte so die Rest­funk­ti­on der lin­ken Niere er­hal­ten wer­den kön­nen.

In­tra­ope­ra­ti­ve Auf­klä­rung hätte auch Mög­lich­keit des Ab­bruchs der Ope­ra­ti­on be­inhal­ten müs­sen

Im vor­lie­gen­den Fall habe es zur Wah­rung des Selbst­be­stim­mungs­rechts des Klä­gers der in­tra­ope­ra­ti­ven Auf­klä­rung sei­ner El­tern da­hin­ge­hend be­durft, dass neben der so­for­ti­gen Ent­fer­nung der lin­ken Niere auch der Ab­bruch der Ope­ra­ti­on mit einer äu­ße­ren Harn­ab­lei­tung für eine Über­gangs­zeit mög­lich ge­we­sen sei. In der Über­gangs­zeit hätte dann eine ärzt­li­che Auf­klä­rung, Be­ra­tung und eine Ent­schei­dung der El­tern in Bezug auf mög­li­che an­de­re, aber ris­kan­te und schwie­ri­ge­re Wege der Nie­ren­er­hal­tung er­fol­gen kön­nen. Die­ses Auf­klä­rungs­er­for­der­nis habe an­ge­sichts der Trag­wei­te und Be­deu­tung der Ent­schei­dung zwi­schen einer Nie­ren­ent­fer­nung und einer ris­kan­ten und schwie­ri­ge­ren Nie­ren­er­hal­tungs­ope­ra­ti­on be­stan­den.

El­tern waren vor Ope­ra­ti­on aus­drück­lich gegen Nie­ren­ent­fer­nung

Dabei sei be­son­ders zu be­rück­sich­ti­gen, dass sich die Kin­des­el­tern in der vor der Ope­ra­ti­on be­stehen­den Si­tua­ti­on – nach Be­denk­zeit und Be­ra­tung durch einen nie­der­ge­las­se­nen Uro­lo­gen – aus­drück­lich gegen eine Nie­ren­ent­fer­nung beim Klä­ger ent­schie­den hät­ten. In die­ser Si­tua­ti­on könne auch nicht von einer hy­po­the­ti­schen Ein­wil­li­gung der El­tern in die so­for­ti­ge Ent­fer­nung der Niere aus­ge­gan­gen wer­den. Viel­mehr sei an­zu­neh­men, dass sich die Kin­des­el­tern in einem ech­ten Ent­schei­dungs­kon­flikt zwi­schen der so­for­ti­gen Nie­ren­ent­fer­nung und der Mög­lich­keit der Über­gangs­lö­sung be­fun­den hät­ten.

In­tra­ope­ra­tiv er­teil­te Ein­wil­li­gung un­wirk­sam

Da die ge­bo­te­ne Auf­klä­rung im vor­lie­gen­den Fall ver­säumt wor­den sei, sei die in­tra­ope­ra­tiv er­teil­te Ein­wil­li­gung der El­tern, die linke Niere des Klä­gers zu ent­fer­nen, un­wirk­sam und die­ser Ein­griff rechts­wid­rig ge­we­sen. An­ge­sichts der Vor­schä­di­gung der ent­fern­ten Niere sei das zu­er­kann­te Schmer­zens­geld an­ge­mes­sen.

OLG Hamm, Urteil vom 07.12.2016 - 3 U 122/15

Redaktion beck-aktuell, 23. Februar 2017.

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