OLG Hamm: Gynäkologe haftet nicht für ungewollte Schwangerschaft über 40-Jähriger nach Aufklärung zu begrenzter Aussagekraft des AMH-Wertes

Ein niedriger Anti-Müller-Hormon-Wert (AMH-Wert) bewahrt eine über 40 Jahre alte Frau nicht vor einer Schwangerschaft. Weist ein Gynäkologe die Frau auf die begrenzte Aussagekraft des AMH-Wertes hin und unterlässt die Frau nach Bekanntwerden eines AMH-Wertes von weniger als 0,1 die weitere Empfängnisverhütung, haftet der Gynäkologe nicht für eine spätere – ungewollte – Schwangerschaft der Frau. Das entschied das Oberlandesgericht Hamm mit Urteil vom 23.02.2018 (Az.: 26 U 91/17, nicht rechtskräftig, BeckRS 2018, 8833).

Frau fordert Schadenersatz wegen ungewollter Schwangerschaft mit 45 Jahren

Die Klägerin ist Mutter dreier vor 2000 geborener Kinder. Von ortsansässigen Gynäkologen verlangt sie Schadenersatz aufgrund einer ungewollten Schwangerschaft. Nach dieser brachte die Klägerin im Alter von 45 Jahren Ende 2012 einen weiteren Sohn zur Welt.

Pille nach Bestimmung des AMH-Wertes abgesetzt

Nachdem die Klägerin über zehn Jahre die Antibabypille eingenommen hatte, begehrte sie im Frühjahr 2012 die Bestimmung des AMH-Wertes, wobei die Parteien darüber streiten, ob sie über die Bedeutung des Wertes zutreffend aufgeklärt wurde. Einige Wochen nach dem Gespräch über den Test erfuhr die Klägerin, dass ihr AMH-Wert unter 0,1 liege und entschloss sich dazu, die Antibabypille abzusetzen. Eine andere Art der Empfängnisverhütung unterließ sie und wurde in der Folgezeit – ungewollt – schwanger.

LG und OLG weisen Schadenersatzklage zurück

Für die aus Sicht der Klägerin behandlungsfehlerhaft eingetretene Schwangerschaft verlangt sie von den beklagten Gynäkologen ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro und Ersatz von Unterhaltsschäden bis zur Volljährigkeit des Kindes. Die Schadenersatzklage hatte keinen Erfolg. Ebenso wie das Landgericht (BeckRS 2017, 147516) konnte auch das OLG keine fehlerhafte Behandlung der Klägerin durch die beklagten Gynäkologen feststellen.

Keine Falschinformation über Aussagekraft des AMH-Wertes

So sei die Klägerin über die Aussagekraft des AMH-Wertes nicht falsch informiert worden, so das OLG. Ausweislich der glaubhaften Aufzeichnungen in den Behandlungsunterlagen der Beklagten sei die Klägerin bei dem ersten Gespräch über den AMH-Test von dem sie behandelnden Gynäkologen auch auf die Unsicherheit des Tests und die Notwendigkeit weiterer Verhütung hingewiesen worden. Dass ihr zu einem späteren Zeitpunkt – bei der Bekanntgabe ihres AMH-Wertes – von einer Mitarbeiterin der Beklagten fälschlicherweise mitgeteilt worden sei, dass sie bei dem festgestellten Wert nicht mehr verhüten müsse, sei nicht bewiesen, stellte das Gericht dazu weiter fest.

Aufklärung in erstem Gespräch ausreichend

Die beklagten Gynäkologen seien auch nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin von sich aus nach dem Erhalt des AMH-Wertes (erneut) über dessen geringen Aussagewert und das Erfordernis weiterer Verhütung aufzuklären. Ihre Aufklärung in dem ersten Gespräch sei ausreichend gewesen. In dieser Situation sei von einem behandelnden Gynäkologen kein weiteres eigenständiges Nachfragen bei einer Patientin zu verlangen. Die Entscheidung, ob sie weiterhin Verhütung betreiben oder diese unterlassen wolle, habe allein der Klägerin oblegen. Es sei daher ihre Sache gewesen, dem behandelnden Gynäkologen von sich aus gegebenenfalls weitere Fragen zu stellen.

Urteil nicht rechtskräftig

Weil die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof (Az.: VI ZR 153/18) eingelegt hat, ist die Rechtssache noch nicht rechtskräftig.

OLG Hamm, Urteil vom 23.02.2018 - 26 U 91/17

Redaktion beck-aktuell, 20. Juni 2018.