Klinik gewährte unbegleitete Einzelausgänge
Das Landgericht Münster verurteilte den Betroffenen im Jahr 2013 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und ordnete seine Unterbringung gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Die Unterbringung wurde ab Februar 2014 im LWL-Zentrum für forensische Psychiatrie Lippstadt in Eickelborn im Kreis Soest vollzogen. 2016 bewilligte die Klinik dem Betroffenen zur Vorbereitung seiner Entlassung Lockerungen in Form unbegleiteter Einzelausgänge.
Unbegleiteter Einzelausgang in Kreis Soest aber abgelehnt
Den vom Betroffenen beantragten unbegleiteten Einzelausgang im Kreis Soest für ein vierwöchiges Praktikum zur Berufsvorbereitung lehnte die Klinik unter Hinweis darauf ab, dass nicht aus dem Kreis Soest stammende Sexualstraftäter nach der Lockerungsregelung der Einrichtung keinen unbegleiteten Einzelausgang im Kreis Soest erhielten. Nach dem Inhalt der bestehenden Sonderregelung werde der Einzelausgang für Patienten, die wegen eines Sexualdelikts untergebracht seien, im Kreis Soest nur gewährt, wenn der Patient bereits vor der Unterbringung dort gewohnt habe oder seine Rehabilitation dorthin vorgesehen sei, was aber auf den Betroffenen nicht zutreffe.
Sonderregelung aufgrund früherer Tötungsdelikte durch Maßregelvollzugspatienten
Hintergrund dieser Sonderregelung im LWL-Zentrum für Forensische Psychiatrie Lippstadt, die sowohl für dieses Kreisgebiet als auch für die benachbarten Kreisgebiete gilt, ist die Tötung eines Kindes im dörflichen Lippstädter Ortsteil Eickelborn, in dem die Einrichtung liegt, durch einen Maßregelvollzugspatienten im unbegleiteten Ausgang im Jahr 1994 sowie ähnliche Vorfälle in den Jahren zuvor. Der Betroffene stellte einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung.
LG: Gefahrenverteilung auf Gesamtbevölkerung gerechtfertigt
Die Strafvollstreckungskammer des LG Paderborn wies den Antrag zurück. Die für Sexualstraftäter getroffene Sonderregelung der Klinik sei nicht zu beanstanden. Das Schutzinteresse der Bevölkerung in Bezug auf Sexualstraftäter sei besonders ausgeprägt. Deshalb begegne es keinen rechtlichen Bedenken, dass zur Zurückgewinnung oder Stabilisierung des Vertrauens in der Bevölkerung mit einer solchen Regelung versucht werde, die speziell von Sexualstraftätern bei unbegleiteten Lockerungen ausgehenden Gefahren nicht hauptsächlich um den Nahbereich der Maßregelvollzugseinrichtung zu konzentrieren. Durch die hier in Rede stehende Sonderregelung werde im Ergebnis eine gleichmäßigere Verteilung der mit unbegleiteten Ausgängen von Maßregelpatienten verbundenen Gefahren auf die Gesamtbevölkerung erreicht. Die erstrebte Praktikumsstelle könne der Betroffene auch außerhalb des Kreisgebietes Soest unschwer finden, sodass die Sonderregelung seiner beruflichen Rehabilitation nicht grundsätzlich im Wege stehe.
Nach Entlassung Fortsetzungsfeststellungsantrag gestellt
Der Betroffene legte gegen die Entscheidung Rechtsbeschwerde ein. Im Juli 2017 wurde die Unterbringung des Betroffenen im Maßregelvollzug für erledigt erklärt und festgestellt, dass die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe durch die Anrechnung der vollzogenen Maßregel bereits vollständig vollstreckt ist. Der Betroffene wurde daraufhin aus dem Maßregelvollzug entlassen. Nach der Entlassung erklärte er seinen ursprünglichen Rechtsbeschwerdeantrag für erledigt und stellte einen Fortsetzungsfeststellungsantrag.
OLG: Freiheitsentzug korrespondiert mit Tätergefährlichkeit
Der Fortsetzungsfeststellungsantrag hatte Erfolg. Das OLG hat festgestellt, dass die Ablehnung von unbegleiteten Einzelausgängen des Betroffenen innerhalb des Kreises Soest zur Durchführung eines beruflichen Praktikums rechtswidrig gewesen ist. Die Maßregel des § 63 StGB verfolge keinen Strafzweck, sondern diene dem Schutz der Allgemeinheit vor aufgrund psychischer Erkrankung oder Behinderung gefährlichen Tätern, gegen die wegen dieses Zustandes kein oder nur ein eingeschränkter Schuldvorwurf erhoben werden könne. Regelmäßig diene die Vorschrift auch dazu, diese Person von der vorliegenden psychischen Störung jedenfalls insoweit zu heilen, dass von ihrem Zustand keine unvertretbare Gefahr für fremde Rechtsgüter mehr ausgehe. Die Regelung und das hierzu erlassene Maßregelvollzugsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen erlaubten keinen Freiheitsentzug, der nicht durch eine Gefahr des Untergebrachten gerechtfertigt sei. Der Umfang des Freiheitsentzuges richte sich daher nach der Behandlungsnotwendigkeit und den Sicherheitserfordernissen, die durch die Krankheit des jeweiligen Untergebrachten und deren Auswirkungen bedingt seien. Vollzugslockerungen verringerten den Umfang des Freiheitsentzuges und dienten dem Behandlungszweck. Sie seien daher zu gewähren, sobald die vom jeweiligen Untergebrachten ausgehende Gefahr dies zulasse.
Generelle Eignung für unbegleitete Einzelausgänge steht Beschränkung entgegen
Im vorliegenden Fall sei der Betroffene generell als für Lockerungen in Form von unbegleiteten Einzelausgängen geeignet eingestuft worden. Derartige Ausgänge seien ihm außerhalb des Kreises Soest (sowie weiterer durch die Sonderregelung ausgeklammerter Kreisbezirke) erlaubt gewesen. Seine individuelle Gefährlichkeit habe daher dieser Form von Lockerungen nicht entgegengestanden. Laut OLG konnte die Klinik bei dieser Sachlage den Anspruch des Betroffenen auf Lockerungen nicht durch eine Sonderungsregelung im Sinne einer 1-zu-1-Pflegerbegleitung begrenzen, um das Vertrauen der Anwohner in der näheren Umgebung zurückzugewinnen oder zu stabilisieren, weil in weiter zurückliegenden Zeiten Maßregelvollzugspatienten in der näheren Umgebung schwerwiegende Straftaten begangen hätten. Weder eine Vereinbarung der Maßregelvollzugseinrichtung mit dem Kreis Soest noch ein eigenes Lockerungskonzept der Klinik mit diesem Inhalt könnten eine derartige Beschränkung rechtfertigen. Das Maßregelvollzugsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen könne weder durch ein Konzept der Klinik noch durch eine politische Vereinbarung außer Kraft gesetzt werden. Auf andere als die gesetzlich vorgesehenen Versagungsgründe könne die Verweigerung von Vollzugslockerungen nicht gestützt werden.