OLG Hamm: Arglistige Täuschung bei Verschweigen eines stationären Klinikaufenthalts ohne plausible Erklärung

VVG §§ 19 V, 22; BGB § 123 I

Verschweigt der Versicherungsnehmer auf entsprechende Frage einen anzeigepflichtigen und ihm bewussten Umstand, kann es für das Merkmal der Arglist entscheidend sein, ob er für die Falschangabe eine plausible Erklärung gibt. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm in einem Urteil entschieden. Im Fall hatte das Gericht eine arglistige Täuschung der Versicherungsnehmerin mit der Begründung bejaht, dass diese bei Abschluss eines Krankenversicherungsvertrages einen stationären Klinikaufenthalt ohne plausible Erklärung verschwiegen hat.

OLG Hamm, Urteil vom 03.02.2017 - 20 U 68/16, BeckRS 2017, 107673

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 9/2017 vom 04.05.2017

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Versicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Versicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Versicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Die Klägerin begehrte die Feststellung des Fortbestehens ihres Krankenversicherungsvertrages, nachdem der Beklagte den Vertrag wegen Anzeigepflichtverletzung angefochten und den Rücktritt erklärt hat.

Das Landgericht gab der Klage statt, weil die Klägerin ihre stationären und ambulanten Behandlungen nicht arglistig verschwiegen habe und sie nicht gemäß § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen worden sei.

Rechtliche Wertung

Auf die Berufung des Beklagten wies das OLG Hamm die Klage ab. Die Berufung sei begründet. Der Vertrag sei mit der Anfechtung rückwirkend unwirksam geworden. Die Voraussetzungen für eine arglistige Täuschung gemäß § 22 VVG und § 123 Abs. 1 BGB lägen vor. Die Klägerin habe bei Antragstellung nicht nur eine ambulante Psychotherapie verschwiegen, sondern auch die Frage nach stationären Behandlungen in den letzten fünf Jahren verneint. Die Frage nach einem stationären Aufenthalt sei ihr gestellt worden. Auch sei ihr der Aufenthalt im Antragsgespräch bewusst gewesen. Der Aufenthalt fiel auch – was der Klägerin ebenfalls bewusst gewesen sei – in den erfragten Zeitraum. Insoweit komme es nicht darauf an, ob der Vermittler der Beklagten wie im Antragsformular nach einem Zeitraum von fünf oder - wie die Klägerin behauptet - von drei Jahren gefragt hatte.

Die Klägerin habe somit bewusst unrichtige Angaben zu ihrem Gesundheitszustand gemacht. Das Verschweigen sei auch arglistig gewesen. Arglist setze kein betrügerisches Handeln voraus. Liegen objektiv falsche Angaben vor, so treffe den Versicherungsnehmer eine sekundäre Darlegungslast. Er müsse plausibel darlegen, wie und weshalb es zu den falschen Angaben gekommen ist. Daran fehle es hier. Die Klägerin habe angegeben, sie habe die Ursachen des Klinikaufenthalts allein in ihrer Ehe und dem unerfüllten Kinderwunsch gesehen, weshalb sie gar nicht auf den Gedanken gekommen sei, die Frage zu bejahen. Dies sei aber nicht plausibel, da die Klägerin lediglich allgemein – ohne Differenzierung nach einer Erkrankung – danach gefragt wurde, ob überhaupt eine stationäre Behandlung erfolgt war.

Die Klägerin habe auch das Interesse des Versicherers an der zutreffenden Beantwortung der Antragsfragen erkannt. Durch das Verschweigen habe sie eine entsprechende Risikoprüfung des Versicherers umgangen.

Die Arglist sei auch nicht damit widerlegt, dass die Klägerin mit dem Vertrag beim Beklagten keine Besserstellung gegenüber dem Vorversicherer anstrebte. Ebenso wenig komme der Klägerin zugute, dass sie im Antragsgespräch davon ausging, der Beklagte werde gegebenenfalls alle Informationen zu ihrem Gesundheitszustand erlangen können.

Der Beklagte sei schließlich mit der arglistigen Täuschung zur uneingeschränkten Annahme des Versicherungsantrags im Sinn des § 123 Abs. 1 BGB bestimmt worden.

Praxishinweis

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass den Versicherungsnehmer eine sekundäre Darlegungslast trifft, wenn er bei Anbahnung des Versicherungsvertrags objektiv falsche Angaben gemacht hat (vgl. nur BGH NJW-RR 2008, 343 m.w.N.).

In einer neueren Entscheidung hat das OLG Frankfurt entschieden, der Versicherungsnehmer sei dieser sekundären Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen, indem er angab, er habe «an die Beschwerden überhaupt nicht gedacht» und «nicht das Bewusstsein gehabt, hier etwas zu verbergen» (OLG Frankfurt, Hinweisbeschluss vom 09.01.2012 – 3 U 86/11, BeckRS 2012, 17683). Aus den vorgelegten Arztberichten ergab sich nämlich, dass der letzte Untersuchungstermin wegen der streitbefangenen Beschwerden zum Zeitpunkt der Antragstellung gerade einmal ein halbes Jahr zurückgelegen hatte.

Nach einem Beschluss des OLG Hamm genügte den Anforderungen an eine nachvollziehbare Erklärung zudem nicht der pauschale Hinweis, der den Antrag aufnehmende Versicherungsmakler habe Belehrungspflichten über die Bedeutung der Gesundheitsfragen verletzt (OLG Hamm, Beschluss vom 13.11.2015 – 20 U 191/15, BeckRS 2016, 14697).

Für eine ausführliche Übersicht zu Rechtsprechungsbeispielen im Zusammenhang mit Arglist in der Personenversicherung siehe Langheid/Wandt/Müller-Frank, VVG, 2. Aufl. 2016, § 22 Rn. 29a-29b.

Redaktion beck-aktuell, 19. Mai 2017.