Werden eigentlich gesamtstrafenfähige Delikte getrennt voneinander in Deutschland und Frankreich ausgeurteilt, und würde die erstmögliche Strafaussetzung dadurch nach hinten verlegt, kann darin eine besondere Härte für Verurteilte liegen. Wird eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung dadurch unmöglich, entstünden dadurch zufällige, ausgleichsbedürftige Nachteile für den Verurteilten, meint das OLG Hamm. Es entschied im Fall eines mehrfach verurteilten Sexualstraftäters, dass die 15 Jahre bis zur Strafaussetzung bereits mit der früheren Vollstreckung in Deutschland zu laufen begannen (Beschluss vom 10.07.2025 – 1 Ws79/25, 1 Ws 80/25).
Seit 1980 hatte ein damals 25-jähriger Mann wiederholt Frauen vergewaltigt und ermordet. Zunächst zwei, später über drei Jahre an Haftstrafen hatte er daher bereits zu verbüßen, bis 1999 auch die letzte Strafe erlassen wurde. Im Jahr 2002 brachte man ihn allerdings anhand seiner DNA mit einem Mord in Verbindung, den er noch vor dem Großteil der Vergewaltigungen begangen hatte. Das LG Münster verurteilte ihn deswegen am 9. Dezember 2002 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe ohne Feststellung einer besonderen Schuldschwere. Ab dem 20. Januar 2004 verbüßte er diese Strafe in einer JVA.
Drei Jahre später wurde er wegen einer in Frankreich begangenen Tat dorthin ausgeliefert. Auch diese lag mehrere Jahre zurück und konnte nur durch den Abgleich der DNA-Spuren endgültig zugeordnet werden. Ein französisches Schwurgericht verurteilte ihn sodann wegen Mordes und Vergewaltigung ebenfalls zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, und zwar am 27. September 2012. Das Gericht ordnete außerdem eine "Sicherungszeit von 22 Jahren" an, in der weder die Aussetzung der Reststrafe, fraktionierter Strafvollzug, Außenbeschäftigung, Ausgänge noch Hafturtlaub erlaubt waren. Anfang 2013 wurde der Mann zurück nach Deutschland überführt, wo er einen Antrag auf Aussetzung der Reststrafe stellte.
Verurteilter begehrt nach 15 Jahren Strafrestaussetzung
Das LG Kleve lehnte den Antrag ab, eine dagegen gerichtete sofortige Beschwerde blieb erfolglos. Das LG erklärte das Urteil des französischen Schwurgerichts für vollstreckbar und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das OLG Düsseldorf, kassierte aber die besondere Schuldschwere.
2024 stellte der Verurteilte erneut einen Antrag auf Strafrestaussetzung zur Bewährung. Er argumentierte zutreffend, dass seit seiner ersten Inhaftierung inzwischen 15 Jahre vergangen seien, was ihm unter Anrechnung seiner Untersuchungshaft den Antrag erlaube (§ 57a StGB). Das LG Kleve argumentierte hingegen, dass eine Entscheidung über die Aussetzung nur in Betracht käme, wenn in beiden Verfahren jeweils 15 Jahre der verhängten Strafen verbüßt seien. Damit könne der Antrag frühestens im Juni 2032 gestellt werden (§ 454b Abs. 4 StPO). Das OLG Hamm entschied nun zugunsten des Gefangenen.
Keine Zurückweisung wegen verfrühter Antragstellung
Der 1. Strafsenat betonte, dass gemäß § 454b Abs. 4 StPO in der Tat erst dann über eine Strafaussetzung entschieden werden dürfe, wenn "über die Aussetzung […] der Reste aller Strafen gleichzeitig" entschieden werden könne. Gehe man dabei von dem später gesprochenen französischen Urteil aus, käme in der Tat erst eine Aussetzung ab Juni 2032 in Betracht. Allerdings sah sich der Senat hier nicht an die erfolgte Strafzeitberechnung gebunden. Grundsätzlich sei es Sache der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde, die Strafzeiten zu berechnen. Die StPO eröffne aber einen eigenständigen Rechtsweg zur richterlichen Überprüfung (§ 458 Abs. 1 StPO).
Jene gerichtliche Prüfung ergebe, dass der Gefangene hier nicht wegen verfrühter Antragstellung zurückgewiesen werden durfte. Zur Begründung führte der Senat an, dass die hier getrennt geahndeten Taten in einem Verfahren vor deutschen Gerichten eigentlich gesamtstrafenfähig gewesen wären. Eine nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB im Exequaturverfahren seinicht mehr möglich gewesen. Das ließen schon die gravierenden Unterschiede der Sanktions- und Vollstreckungssysteme der beiden Länder nicht zu.
Auszugleichende ungewöhnliche Härte
Eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung sei damit rechtlich unmöglich gewesen, in diesem Fall stelle sich das aber als ungewöhnliche Härte für den Gefangenen dar, die es auszugleichen gelte. Die direkte Übernahme der in Frankreich ausgesprochenen lebenslangen Freiheitsstrafe führe zu einer faktischen Mindestvollstreckungszeit von 30 Jahren (15 Jahre seit der ersten Inhaftierung in Deutschland bis zum September 2022, zusätzliche 15 Jahre ab diesem Zeitpunkt). Wäre hier inländisch eine Gesamtstrafe gebildet worden, wäre zwar durchaus über eine eigenständige, womöglich über 15 Jahre lange Mindestverbüßungsdauer zu entscheiden gewesen. Eine Dauer von 30 Jahren würde dabei aber bei Weitem nicht erreicht werden. Der Nachteil für den Gefangenen beruhe dabei im Ergebnis auf Umständen, die er nicht habe beeinflussen können.
Indem das französische Gericht diesen nötigen Härteausgleich nicht berücksichtigt habe, habe es die Rechte des Gefangenen auf Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen verletzt und damit gegen Grundsätze der deutschen Rechtsordnung sowie der europäischen ordre public verstoßen, konkretisiert durch die EU-Grundrechtecharta.
In der Folge sei die Entscheidung des LG Kleve aufzuheben. Der Senat betonte allerdings, dass mit seiner Entscheidung nicht automatisch über den Antrag des Gefangenen entschieden werde. Der Nachteilsausgleich realisiere sich indes darin, dass die Vorinstanz überhaupt anhand seines Antrags eine Aussetzungsentscheidung treffen müsse. Ob dabei der frühestmögliche Zeitpunkt (September 2022) oder ein anderer festgesetzt würde, entscheide das OLG gerade nicht.