Sechseinhalb Jahre Haft für IS-Rückkehrerin

Eine Frau aus Schleswig-Holstein reiste mit ihrem Sohn nach Syrien. Sie ließ zu, dass Terrormilizen den 14-Jährigen als Kämpfer einsetzten. Der Junge starb durch eine Bombe. Die Mutter trifft nach Ansicht des Oberlandesgerichts Hamburg eine erhebliche Schuld. Es verurteilte die Frau deswegen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, Kriegsverbrechen, Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht und fahrlässiger Tötung zu sechseinhalb Jahren Haft.

Familie folgte dem Ehemann nach Syrien

Im Alter von 15 Jahren hatte die deutsche Angeklagte ihren aus den Palästinensergebieten stammenden Mann kennengelernt und ihn nach der Geburt eines gemeinsamen Sohnes geheiratet, wie der Vorsitzende Richter Norbert Sakuth erklärte. Der Imbiss-Laden der Familie in Bad Oldesloe in Schleswig-Holstein sei 2013 pleitegegangen. Danach habe sich der Mann radikalisiert. Im Ramadan 2015 sei er wie immer im Fastenmonat in eine Lübecker Moschee gezogen. Kurze Zeit später sei er dann zum sogenannten "Islamischen Staat" (IS) nach Syrien ausgereist und habe eine verzweifelte Frau zurückgelassen. Obwohl der Verfassungsschutz versuchte, sie aufzuhalten, habe sie Möbel und Auto verkauft und mit einer gefälschten Unterschrift ihres Mannes einen Pass für ihren jüngeren, 2002 geborenen Sohn beantragt. Einen Tag vor dessen 14. Geburtstag sei sie mit ihm in die Türkei geflogen. Der Junge habe sich auf das Wiedersehen mit seinem Vater gefreut und die Tragweite der Entscheidung nicht verstanden, sagte Richter Sakuth.

Mutter überließ Sohn dem IS

Der Mutter sei dagegen durchaus klar gewesen, dass Jugendliche vom IS in Kampfgruppen eingegliedert werden. Sie habe jedoch die radikal-islamische Ideologie der Terrororganisation geteilt. Ihrer Schwester gegenüber habe sie die Attentate vom November 2015 in Paris, bei denen Islamisten 130 Menschen erschossen, gerechtfertigt. Für die Tötung von Ungläubigen kämen die Attentäter in den Himmel. Mit Hilfe von Schleusern seien Mutter und Sohn in die nordwestsyrische Provinz Idlib gelangt. Die islamistische Miliz Jund al-Aqsa habe den Jungen als Rekruten aufgenommen und die Angeklagte in ein "Frauenhaus" gebracht, wie Sakuth weiter erklärte. Der 14-Jährige habe eine Waffenausbildung erhalten und sei unter anderem an Checkpoints der Miliz eingesetzt worden. Er habe einen Beschuss durch einen Hubschrauber und eine Gefangennahme überlebt. Einmal sei er nur ganz knapp einem Anschlag entgangen.

Gericht sieht darin ein Kriegsverbrechen

Erst im Dezember 2016 habe die Angeklagte in die IS-Hochburg Rakka weiterreisen können und ihren Mann getroffen. 2017 sei der Sohn gefolgt und habe gleich eine neue ideologische und militärische Schulung beim IS begonnen. Mit der Überlassung des Jungen an die Terrormiliz habe die Angeklagte ein Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch begangen, erklärte Sakuth. In der Zeit sei auch ihr älterer Sohn in Deutschland aus der Haft freigekommen. Die Mutter habe ihn aufgefordert, ebenfalls nach Syrien auszureisen und möglichst viel Geld mitzubringen. Doch dazu sei es nicht gekommen. Der junge Mann habe zwar ohne Pass ein Flugzeug in Richtung Griechenland nehmen wollen, habe aber noch vor dem Start der Maschine gesundheitliche Probleme bekommen.

Noch immer nicht vom Islamismus distanziert

In Rakka habe die Angeklagte ihrem Mann, der als Funktionär für den IS tätig war, den Haushalt geführt. Als der IS militärisch unter Druck geriet, sei die Familie mit der Terrormiliz in Richtung irakischer Grenze geflohen. In einem Dorf am Euphrat sei der Junge am 23.02.2018 bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Die Mutter habe daraufhin von einem Märtyrertod gesprochen und gesagt, dass das der Traum ihres Sohnes gewesen sei. Die Verteidigung hatte erklärt, damit habe die Angeklagte sich selbst trösten wollen. Sie habe glauben wollen, dass ihr Kind nun an einem besseren Ort sei - das sah der Staatsschutzsenat aber anders. Nach zwei Jahren in einem kurdischen Gefangenenlager und einem Jahr Untersuchungshaft in Deutschland habe sich die Angeklagte noch immer nicht vom Islamismus distanziert. "Sie leugnet, je radikal gewesen zu sein", sagte der Richter. Mildernd rechnete das Gericht der 44-Jährigen an, dass sie unter dem Tod ihres Sohnes leide und die fahrlässige Tötung eingeräumt habe. Die Angeklagte nahm das Urteil ohne erkennbare Regung entgegen.

Bernhard Sprengel, 25. März 2022 (dpa).