Unterlassene Anhörung vor Löschung eines Facebook-Posts nachholbar

Wurde ein Facebook-Nutzer vor Löschung eines Posts nicht angehört, so kann die Anhörung in dem Prozess um die Wiederfreischaltung des Posts nachgeholt werden. Führt die Anhörung dort zu keiner anderen Bewertung, kann der betroffene Nutzer nicht verlangen, dass sein Post wieder freigeschaltet wird. Laut Oberlandesgericht Frankfurt am Main ergibt sich das Löschungsrecht in einem solchen Fall eines vertragswidrigen Posts aus dem Nutzungsvertrag. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Hintergrund: Grundsatzurteil des BGH

Hintergrund der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main ist ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (NJW 2021, 3179). Danach sind die Regelungen in den Nutzungsbedingungen, die Facebook in einem Fall der Hassrede eine Befugnis zur Löschung dieses Posts einräumen, unwirksam, weil sie kein Verfahren vorsehen, aufgrund dessen der betroffene Nutzer über die Entfernung umgehend informiert, ihm der Grund dafür mitgeteilt und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt wird, woran sich eine neue Entscheidung mit der Möglichkeit der Wiederfreischaltung des Posts anschließt.

Post zu Messerstecherei zwischen Afghanen gelöscht

Die Beklagte ist in Deutschland Vertragspartnerin der Nutzer von Facebook. Der Kläger stimmte den im April 2018 geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten zu. Im November 2018 postete er im Zusammenhang mit einem Artikel über die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Afghanen in einer Flüchtlingsunterkunft, in deren Verlauf diese untereinander Messer eingesetzt hatten, unter anderem: "Solange diese sich gegenseitig abstechen ist es doch o. k. Ist jemand anderer Meinung? Messer-Emoji". Die Beklagte löschte diesen Beitrag und sperrte außerdem vorübergehend Teilfunktionen des klägerischen Kontos. Der Kläger begehrte daraufhin vor dem Landgericht unter anderem die Freischaltung des gelöschten Beitrags. Das LG hatte die Klage abgewiesen (MMR 2021, 269).

OLG: Post fällt unter Hassrede

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Wiederfreischaltung des gelöschten Posts. Der Post sei zwar eine Meinungsäußerung. Er verstoße aber gegen die über die Nutzungsbedingungen einbezogenen Bestimmungen in den Gemeinschaftsstandards zur Hassrede. Der Begriff der Hassrede sei hinreichend transparent und in den Regelungen selbst definiert worden. Erfasst würden unter anderem "Angriffe durch eine gewalttätige und entmenschlichende Sprache, durch Aussagen über Minderwertigkeit und durch Aufrufe, Personen auszuschließen und zu isolieren". Hier verstehe der flüchtige Leser die Äußerung so, dass es dem Kläger "gleichgültig ist beziehungsweise er es in Ordnung finde, wenn afghanische Flüchtlinge sich gegenseitig abstechen". Dies unterfalle dem Bereich der Hassrede.

Facebook darf Hassrede verbieten

Die Beklagte sei auch berechtigt, ein Verbot von Hassrede vorzusehen, "durch das auch nicht strafbare oder rechtsverletzende Meinungsäußerungen erfasst werden". Sie dürfe den Nutzern ihres Netzwerks bestimmte Kommunikationsstandards vorgeben, die über die strafrechtlichen Vorgaben hinausgingen. Die Verhaltensregeln sollten einen Kodex für "einen respektvollen Umgang miteinander" enthalten. Soweit die Löschung des Posts erfolgte, ohne den Kläger umgehend zu informieren und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme mit anschließender Neuentscheidung zu gegeben, könne die Beklagte sich zwar nicht auf ihre Regelungen zum Entfernungs- und Sperrvorbehalt berufen. Diese seien gemäß der Rechtsprechung des BGH unwirksam.

Anhörungsfehler in Prozess heilbar

Die Beklagte sei aber zur Löschung unmittelbar aus dem Nutzungsvertrag berechtigt, meint das OLG. Die Verfahrensanforderungen zur Information des Betroffenen über die Löschung ergäben sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Durch die Unwirksamkeit der Klausel über den Entfernungs- und Sperrvorbehalt sei im vertraglichen Gefüge eine Lücke entstanden, die im Weg der Auslegung zu schließen sei. Über diese ergänzende Vertragsauslegung sei die Beklagte verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung eines Beitrags zu informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme und Neuentscheidung zu geben. Dies sei im Rahmen des Prozesses nachgeholt worden. Der anfängliche Anhörungsfehler sei damit nachträglich geheilt worden.

Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das OLG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BGH unter anderem hinsichtlich des dargestellten Antrags auf Wiederherstellung des gelöschten Artikels zugelassen.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 30.06.2022 - 16 U 229/20

Redaktion beck-aktuell, 30. Juni 2022.