Klägern im Telekom-Prozess wird Vergleich angeboten
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© Daniel Kalker / picture alliance
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Im Rechtsstreit um den dritten Börsengang der Deutschen Telekom wird den Klägern mit ausdrücklicher Billigung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main ein Vergleich angeboten. Maßgebliche Anlegerschutzanwälte und die drei Beklagten Deutsche Telekom, Bundesrepublik Deutschland und die Staatsbank KfW einigten sich heute vor dem OLG auf eine Lösung, die für viele Betroffene ein Ende des 20 Jahre andauernden Streits bedeuten wird.

Vergleichsangebot

Bei Annahme erhalten die Aktionäre den im Jahr 2000 geleisteten Kaufpreis von 66,50 Euro pro Aktie zurück, von dem zwischenzeitlich gezahlte Dividenden und Teilverkäufe abgezogen werden. Auch der heutige Wert der Aktie wird mit 16,50 Euro verrechnet sowie die nachträglich verteilten Bonusaktien des Bundes, weil sämtliche Papiere bei den Käufern bleiben sollen. Aufgeschlagen werden dann noch 70% der angefallenen Prozesszinsen, die seit Einreichung der Klagen aufgelaufen sind. Ob sie den Vergleich annehmen, entscheiden aber die einzelnen Kläger. Ihnen soll bis Ende Juni 2022 jeweils ein Angebot vorgelegt werden.

Aktien bescherten vielen Kleinaktionären hohe Verluste

Die Aktien waren im Juni 2000 zu einem Startkurs von 66,50 Euro in den Markt gekommen. Das Allzeithoch von 103,50 Euro lag damals schon mehrere Monate zurück. Heute notiert das Papier bei etwa 17 Euro und damit nicht allzu weit entfernt vom ursprünglichen Ausgabepreis 1996, also 28,50 D-Mark (14,57 Euro). Rund 16.000 Kleinaktionäre hatten sich damals getäuscht gefühlt und seit 2001 beim Landgericht Frankfurt Klagen eingereicht. Ihre Kursverluste summierten sich nach ihren Angaben auf rund 80 Millionen Euro. Das zusammenfassende Musterverfahren ist bis heute nicht rechtskräftig abgeschlossen. Der Bundesgerichtshof hat aber einen schwerwiegenden Fehler im Verkaufsprospekt für die Aktie festgestellt.

Beide Parteien und Gericht unterstützen den Vergleich

"Damit werden - bis auf einen kleinen Teil der Zinsen - nahezu 100% der geltend gemachten Ansprüche befriedigt", erklärte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Marc Tüngler. Auch die erstattbaren Prozess- und Anwaltskosten sollen nicht an den Klägern hängenbleiben. Neben weiteren Klägeranwälten riet auch der Vorsitzende Richter Bernhard Seyderhelm den Kleinanlegern dringend, den Vergleich anzunehmen. Er warnte sie vor nicht kalkulierbaren Kostenrisiken bei einer Weiterführung des Prozesses, der gut und gerne noch weitere fünf Jahre dauern könne bis zu einer rechtsgültigen BGH-Entscheidung. "Der Senat legt allen Beteiligten nahe, diesen Vergleich abzuschließen." Telekom-Chefjuristin Claudia Junker sprach sogar von bis zu zehn Jahren, die es ohne Kompromiss hätte dauern können. "Es ist jetzt an der Zeit gewesen, dass wir dieses sehr faire Angebot machen."

Klägeranwälte: KapMuG ermöglichte Vergleich

Es dauerte am Dienstag im Saal E II auch nur eine Viertelstunde, bis der Anwalt Peter Gundermann von der Kanzlei Tilp erstmals das Wort vom "Mammutprozess" in den Mund nahm. Selten hat der Vergleich zu dem Ur-Tier besser gepasst als bei der Causa Telekom, bei der erstmals in der deutschen Rechtsgeschichte die rund 12.000 beim Landgericht Frankfurt eingegangenen Klagen von mehr als 16.000 Klägern zu einem eigens gesetzlich geschaffenen Kapitalanlegermusterverfahren (KapMuG) zusammengefasst wurden. Es folgten zwei nahezu endlose Prozesse vor dem Oberlandesgericht Frankfurt, dessen Vorlagebeschlüsse beim Bundesgerichtshof beide Male nicht vollständig überzeugten, so dass 20 Jahre nach den ersten Klagen immer noch keine rechtskräftige Entscheidung vorliegt. Im Prozessverlauf starben im Juni 2016 der ausgewählte Musterkläger Bruno Kiefer und am 1. April dieses Jahres auch der Rechtsanwalt und profilierte Anlegervertreter Andreas Tilp, der das Verfahren entscheidend geprägt hatte. Sein enger Kollege Peter Gundermann wiederholte nach dem Vergleichsvorschlag die Einschätzung, dass die Kläger ohne das zusammenfassende Musterverfahren vermutlich leer ausgegangen wären. "Das KapMuG bündelt die Kräfte aller Anleger, damit entsteht ein wirksames Gewicht gegen die Marktmacht des Gegners", sagte der Anwalt.

Unternehmen noch nicht gut auf KapMuG eingestellt

Eine schnelle Lösung des Konflikts ist dennoch nicht herausgekommen - anders als in den USA, wo die Telekom bereits im Jahr 2005 an Anleger 150 Millionen Dollar ausgezahlt hat. "Der Fall zeigt eindeutig, wie ungeeignet das KapMuG-Verfahren in seiner aktuellen Ausgestaltung ist", kritisiert DSW-Vertreter Tüngler. Sein Kollege Klaus Nieding hofft, dass von dem "absolut sinnvollen" Frankfurter Vergleich eine Signalwirkung auf andere KapMug-Prozesse wie Volkswagen oder Porsche ausgeht: "Die Unternehmen müssen sich viel früher bewegen im Sinne der Aktienkultur. Das heißt, sie müssen auf die Aktionäre zugehen, die klagen."

Redaktion beck-aktuell, 23. November 2021 (dpa).