Kindeswohl geht berechtigtem Umgangsinteresse vor
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Es kommt vor, dass ein betreuender Elternteil sein Kind so beeinflusst, dass es den Umgang mit dem anderen Elternteil ablehnt. Das rechtfertigt es aber nicht, das Kind in einem Heim unterzubringen, um die Kontaktverweigerung zu beenden, so das OLG Frankfurt a.M.

Die negativen Folgen dieser Verletzung des Grundrechts auf freie Persönlichkeitsentwicklung des Kindes überwögen das berechtigte Umgangsinteresse des vom Kind verschmähten Elternteils, betont das OLG (Beschluss vom 03.04.2024 – 7 UF 46/23, unanfechtbar).

In dem Verfahren ging es um ein Mädchen, das ausschließlich bei seiner Mutter aufgewachsen war. Nach langjährigen regelmäßigen und ausgedehnten Umgangskontakten zum getrenntlebenden Vater hatte das Kind im Alter von sieben Jahren plötzlich den Umgang verweigert. Die Mutter war davon ausgegangen, dass es zwischen Vater und Tochter zu sexuell getönten Vorfällen gekommen war. Sie hatte das Mädchen seither in seiner Umgangsverweigerung bestärkt. Ein Sachverständigengutachten hatte ergeben, dass kein für eine strafrechtliche Verurteilung hinreichender Tatverdacht eines Kindesmissbrauchs vorlag. Es sprach daher für das OLG einiges dafür, dass die Ablehnung des Mädchens maßgeblich auf eine Beeinflussung durch die Mutter zurückging.

Der Vater des Mädchens hatte nach jahrelangem Streit beantragt, ihm die elterliche Sorge zu übertragen. Da es wegen der absoluten Verweigerung des Mädchens nicht möglich schien, es in seinen Haushalt zu geben, hatte das AG Bad Hersfeld die damals Neunjährige in einem Eilverfahren aus dem Haushalt der Mutter genommen und in ein Kinderheim gegeben. Dies entsprach den Empfehlungen eines Sachverständigen, denen auch Jugendamt und der Verfahrensbeistand des Kindes gefolgt waren. Während der Heimunterbringung sollte sich – fern der Beeinflussung durch die Mutter, mit der keinerlei Umgang stattfinden durfte – das Kind dahin stabilisieren, dass es die unerklärliche Kontaktverweigerung zum Vater aufgibt. So sollte perspektivisch die gewünschte Übersiedlung des Kindes in den Haushalt des Vaters ermöglicht werden.

Wille des Kindes darf nicht übergangen werden

Das OLG beanstandete diese Vorgehensweise als rechtswidrig. Es veranlasste auf die Beschwerde der Mutter gegen den Sorgerechtsbeschluss des AG umgehend, dass das Kind wieder bei der Mutter einziehen konnte. Die Wünsche und Vorstellungen des Kindes völlig zu ignorieren stelle eine nicht zu vertretende Grundrechtsverletzung dar. Dabei hat das OLG insbesondere darauf abgestellt, dass es keine Anhaltspunkte für eine unzulängliche Versorgung des Kindes im Haushalt der Mutter gab. Das Mädchen sei eine exzellente Grundschülerin mit altersgerechten Kontakten zu Gleichaltrigen und guten sozialen Kompetenzen.

Unter solchen Umständen könne der entgegenstehende Wille eines neun Jahre alten Mädchens nicht übergangen werden. Die nachvollziehbare Verzweiflung des umgangsberechtigten Vaters habe dazu beigetragen, dass Jugendamt, Sachverständiger und Verfahrensbeistand eine solche den Willen des Kindes brechende Maßnahme befürwortet hätten. Dabei sei jedoch nicht hinreichend beachtet worden, dass der Kontaktabbruch zur hauptbetreuenden Mutter für das Kind unerträglich gewesen sei, während das Kind unter dem fehlenden Umgang zum Vater in keiner Weise gelitten, sondern diesen aktiv gewünscht habe.

Äußerst fraglich sei zudem, ob das gewünschte Ziel eines Wechsels in den Haushalt des Vaters durch die Heimunterbringung überhaupt erreicht werden könnte. Die Maßnahme sei mithin auch völlig ungeeignet.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 11.04.2024 - 2 U 115/20

Redaktion beck-aktuell, bw, 6. Mai 2024.