Kein Schmerzensgeld für psychische Belastung wegen verunreinigten Medikaments

Erhöht die Einnahme eines verunreinigten Arzneimittels das Risiko, an Krebs zu erkranken, nur um 0,02%, ist es nicht generell geeignet, psychische Belastungen in Form von Ängsten und Albträumen zu verursachen. Das entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main und wies die Klage einer Frau auf Schmerzensgeld in Höhe von 21.500 Euro ab.

Blutdrucksenkende Arzneimittel wegen NDMA-Verunreinigung zurückgerufen

Die Klägerin erhielt seit vielen Jahren blutdrucksenkende Arzneimittel mit dem Wirkstoff Valsartan. Die Beklagte stellt Medikamente mit diesem Wirkstoff her. 2018 rief sie alle Chargen mit diesem Wirkstoff zurück, da es beim Wirkstoff-Hersteller produktionsbedingt zu Verunreinigungen mit dem "wahrscheinlich krebserregenden" N-Nitrosodimethylamin (NDMA) gekommen war. Nach dem Beurteilungsbericht der Europäischen Arzneimittelagentur ist das theoretisch erhöhte Lebenszeit-Krebsrisiko aufgrund möglicher Verunreinigungen mit NDMA bei täglicher Einnahme der Höchstdosis über ein Zeitraum von 6 Jahren um 0,02% erhöht. Das allgemeine Lebenszeitrisiko für Frauen, an Krebs zu erkranken, wird für Deutschland mit 43,5% angegeben. Seit dem Rückruf leidet die Klägerin unter Angststörungen und verklagte den Arzneimittelhersteller auf Schmerzensgeld.

OLG: Krankheitswert unterhalb der Erheblichkeitsschwelle

Das Landgericht Darmstadt hat die Klage abgewiesen. Auch die hiergegen gerichtete Berufung vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main blieb erfolglos. Die Klägerin habe bereits keine "erhebliche" Verletzung ihrer Gesundheit nachgewiesen, so das OLG. Der sich aus den Angaben der Klägerin ergebende Krankheitswert liege unterhalb der Erheblichkeitsschwelle. Die Klägerin berufe sich darauf, dass sie bereits das Wort "krebserregend" beunruhige. Tagsüber denke sie oft an die ungewisse gesundheitliche Zukunft; nachts plagten sie Albträume. Diese Schilderungen seien ungenau, pauschal und belegten keine behandlungsbedürftige Gesundheitsverletzung.

Gesundheitsbeeinträchtigung nicht infolge der Arzneimitteleinnahme

Die Haftung der Beklagten scheide auch aus, so das OLG weiter, da die Gesundheitsbeeinträchtigung nicht "infolge" der Arzneimitteleinnahme aufgetreten sei. Das Arzneimittel selbst sei - auch nach dem Vortrag der Klägerin - nicht geeignet, die hier beklagten Gesundheitsbeeinträchtigungen in Form der Ängste und Albträume zu verursachen. Auslöser der psychischen Folgen sei vielmehr die Kenntnis von der Verunreinigung gewesen, wonach die Klägerin mit einem geringfügig erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Krebserkrankung rechnen müsse. Diese anzunehmende Risikoerhöhung verbleibe aber in einem Rahmen, "der nicht in relevanter Weise über dem allgemeinen Lebensrisiko liegt und damit generell bei objektiver Betrachtung nicht geeignet ist, die behaupteten psychischen und physischen Folgen auszulösen", so das Gericht. Die nur ganz geringfügige Erhöhung des Krebsrisikos durch die Verunreinigung des Arzneimittels gegenüber dem allgemeinen Risiko, an Krebs zu erkranken, sei nicht per se als Schaden zu werten, ebenso wie eine Verunreinigung des Arzneimittels an sich, die auch folgenlos bleiben könne. Die individuelle Risikoeinschätzung der Klägerin sei hier deshalb nicht objektiv nachvollziehbar.

Krebsfälle in Familie der Beklagten als Mitursache

Darüber hinaus lägen auch andere schadensverursachende Umstände vor. Die Klägerin habe selbst vorgetragen, dass ihre Ängste, an Krebs zu erkranken, dadurch verursacht würden, dass ihre Mutter, ihr Bruder und die Cousine an Krebs verstorben seien. Überzogene Reaktionen auf die Nachricht, dass ein eingenommenes Medikament möglicherweise Verunreinigungen enthalte, die möglicherweise krebserregend seien, könnten der Beklagten nicht zugerechnet werden, heißt es im Urteil dazu weiter. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Klägerin die Zulassung der Revision begehren.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 26.04.2023 - 13 U 69/22

Redaktion beck-aktuell, Gitta Kharraz, 16. Mai 2023.