Ex-Mitarbeiter darf Buch mit Interna zu russischem Medienkonzern veröffentlichen

Die inländische Öffentlichkeit hat ein erhebliches Interesse zu erfahren, dass ein deutschsprachiges Tochterunternehmen eines russischen Medienkonzerns möglicherweise in verdeckte Ermittlungen in Bezug auf russische Regimekritiker involviert war. Berechtigte Belange des Unternehmens müssten hinter das Informationsinteresse der Allgemeinheit zurücktreten, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main.

Streit um Buchveröffentlichung ehemaligen journalistischen Mitarbeiters

In den beiden Eilverfahren wollte sich die deutschsprachige Konzerntochter eines russischen Medienkonzerns gegen die Veröffentlichung der Erst- und der Zweitauflage des Buches eines ehemaligen journalistischen Mitarbeiters wehren. Der Antragsgegner berichtete in dem Buch über die Aktivitäten der Antragstellerin und ihrer Mitarbeiter. Er arbeitete von 2018 bis 2020 zunächst als freier Mitarbeiter und dann als angestellter Reporter für die Antragstellerin, die sich bislang erfolglos um eine Sendelizenz innerhalb der Europäischen Union bemüht hat. Im Frühjahr 2021 veröffentlichte der Antragsteller im Internet ein Buch, in dem er sich kritisch mit der Arbeit, der politischen Ausrichtung und einzelnen journalistischen Aktivitäten der Antragstellerin auseinandersetzt. Dabei geht es auch um einen Spezialauftrag, den der Antragsgegner anlässlich der medizinischen Behandlung des Regimekritikers Nawalny in der Berliner Charité nach einem missglückten Anschlag auf ihn erhalten hat.

LG erlaubte teilweise Veröffentlichung

Die Antragstellerin wollte dem Antragsgegner die Veröffentlichung des gesamten Buches in der Erst- sowie in der Zweitauflage, zumindest aber einzelner Äußerungen, Abbildungen und Ablichtungen sogenannter Chat-Verläufe von Mitarbeitern verbieten. Das Landgericht untersagte dem Antragsgegner, einzelne Äußerungen aus dem Buch zu wiederholen, weil es sich um nicht erwiesene Tatsachenbehauptungen handele. Für den Großteil der Äußerungen, die Abbildungen oder gar für das gesamte Buch komme ein Verbot nicht in Betracht, weil darin Wertungen ausgesprochen würden, die von der grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit des Verfassers erfasst seien. Die Antragstellerin legte Beschwerde ein.

OLG weist Beschwerde zurück - Berechtigtes Veröffentlichungsinteresse gegeben

Das Oberlandesgericht hat das Rechtsmittel zurückgewiesen. Die Antragstellerin könne dem Antragsgegner weder aus arbeitsvertraglichen noch aus urheberrechtlichen Gründen eine Veröffentlichung des gesamten Buchs oder der weiterhin angegriffenen Äußerungen und Abbildungen verbieten. Ein vorrangiges Geheimhaltungsinteresse der Antragstellerin sei namentlich in Bezug auf die Darstellungen in dem Buch zum “Fall Nawalny“, wo der Antragsgegner seinen Eindruck wiedergebe, an Ermittlungen für den russischen Staat beteiligt worden zu sein, nicht gegeben. Vielmehr sei es für die Öffentlichkeit im Inland von erheblichem Interesse zu erfahren, dass ein deutsches Medienunternehmen mit engen Konzernverbindungen nach Russland möglicherweise in verdeckte Ermittlungen in Bezug auf russische Regimekritiker involviert sei.

Kein unzulässiger Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht

Der Antragsgegner habe mit den in der Rechtsmittelinstanz noch anhängigen 63 Einzelaussagen auch nicht das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Antragstellerin verletzt. Hier müssten im Einzelfall die berechtigten Belange der Antragstellerin und die Meinungsfreiheit des Antragsgegners beziehungsweise das Informationsinteresse der Allgemeinheit gegeneinander abgewogen werden. Auch wenn sich der Antragsgegner an einigen Stellen in seinem Buch sehr kritisch mit der fehlenden Sachkompetenz der Mitarbeiter der Antragstellerin, mit deren politischer Nähe zu rechts- oder linksextremistischen Gruppen im In- und Ausland oder den “Corona-Leugnern“ auseinandersetze, könne auf dieser Grundlage kein unzulässiger Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Antragstellerin angenommen werden.

OLG Frankfurt a. M., Entscheidung vom 19.05.2022 - 11 U 115/21

Redaktion beck-aktuell, 17. Mai 2022.