Bahn muss geschlechtsneutrale Nutzung ihrer Angebote ermöglichen
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Die Bahn darf von ihrer Kundschaft nicht verlangen, bei der Nutzung von Angeboten zwingend zwischen einer Anrede als "Herr" oder "Frau" zu wählen, da dies eine unzulässige Diskriminierung von Personen mit nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit darstellt. Für Online-Buchungen gelte eine Übergangsfrist bis Jahresende, andere Angebote muss die Bahn sofort umstellen.  Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main sprach zudem eine Entschädigung von 1.000 Euro zu.

Klage gegen geschlechtsbezogene Anrede der Bahn

Die gegen eine Vertriebstochter der Deutschen Bahn AG klagende Person mit nicht-binärer Geschlechtsidentität ist Inhaberin einer BahnCard und wurde in diesbezüglichen Schreiben sowie Newslettern der Beklagten mit der unzutreffenden Bezeichnung "Herr" adressiert. Auch beim Online-Fahrkartenverkauf verlangte die Beklagte, zwischen einer Anrede als "Frau" oder "Herr" auszuwählen. Die klagende Person meinte, ihr stünden Unterlassungsansprüche sowie ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 5.000 Euro zu, weil das Verhalten der Beklagten diskriminierend sei. Das Landgericht gab den Unterlassungsansprüchen statt und wies den Entschädigungsanspruch ab.

OLG bestätigt Diskriminierung

Auf die Berufungen der Parteien hat das Oberlandesgericht die Unterlassungsansprüche der klagenden Person bestätigt. Zudem sei der klagenden Person eine Entschädigung in Höhe von 1.000 Euro zu zahlen. Die klagende Person könne wegen einer unmittelbaren Benachteiligung im Sinne der §§ 3, 19 AGG aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität bei der Begründung und Durchführung von zivilrechtlichen Schuldverhältnissen im Massenverkehr Unterlassung verlangen. Das Merkmal der Begründung eines Schuldverhältnisses sei weit auszulegen und nicht nur auf konkrete Vertragsanbahnungen zu beziehen. Es umfasse auch die Verhinderung geschäftlicher Kontakte, wenn Menschen mit nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit gezwungen würden, für einen Online-Vertragsschluss zwingend die Anrede "Herr" oder "Frau" auszuwählen.

Bahn muss Angebote umstellen – Übergangsfrist bei Online-Buchungen

Die Umstellung bei der persönlichen Ausstellung von Fahrkarten, Schreiben des Kundenservice, Werbung und gespeicherten personenbezogenen Daten müsse aber sofort erfolgen. In der diesbezüglichen individuellen Kommunikation sei es für die Beklagte technisch realisierbar und auch im Hinblick auf den finanziellen und personellen Aufwand zumutbar, dem Unterlassungsanspruch ohne Übergangsfrist zu entsprechen. Der Beklagten sei jedoch hinsichtlich des allgemeinen Buchungssystems für Online-Fahrkarten wegen des erheblichen technischen Aufwands eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende von gut sechs Monaten einzuräumen.

Anspruch auf Entschädigung

Wegen der Verletzung des Benachteiligungsverbots sei der klagenden Person eine Entschädigung in Höhe von 1.000 Euro zu zahlen, weil diese einen immateriellen Schaden erlitten habe. Sie erlebe “die Zuschreibung von Männlichkeit“ seitens der Beklagten als Angriff auf die eigene Person, welche zu deutlichen psychischen Belastungen führe. Die Entschädigung in Geld sei angemessen, da sie der klagenden Person Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung und Zurücksetzung verschaffe. Abzuwägen seien dabei die Bedeutung und Tragweite der Benachteiligung für die klagende Person einerseits und die Beweggründe der Beklagten andererseits. Die Benachteiligungen für die klagende Person seien hier als so massiv zu bewerten, dass sie nicht auf andere Weise als durch Geldzahlung befriedigend ausgeglichen werden könnten.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 21.06.2022 - 9 U 92/20

Redaktion beck-aktuell, 21. Juni 2022.