"Antisemitisch" kann zulässige Meinungsäußerung sein

Nachdem ein Frankfurter Politiker Israel als "Virus" bezeichnet hatte, nannte eine Zeitung das  "antisemitisch". Während das Medium seine Äußerung nicht um den Sachbezug zur israelischen Siedlungspolitik hätte verkürzen dürfen, durfte es  sie sehr wohl für antisemitisch erklären, so das OLG Frankfurt.

Der Kläger ist stellvertretender Vorsitzender einer kleinen Partei und Mitglied der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung. Ausgangspunkt der Entscheidung ist eine Aussage des Mannes im Internet, über welche die beklagte Zeitung berichtet hatte. Der Bericht bezog sich darauf und zitierte ihn mit: "Während man nur noch von Corona redet, hat man den wahren Virus im Nahen Osten vergessen: Israel." Diese und andere Aussagen bezeichnete die Zeitung in ihrer Berichterstattung als "antisemitisch".

Der Politiker versuchte sich mit einer Klage auf Unterlassung von insgesamt vier Aussagen zu wehren. Er führte an, das Zitat sei ohne weiteren Kontext wiedergegeben worden und verfälsche seine eigentliche Aussage, die im Kontext mit Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern gestanden habe. Zudem werde er so als Antisemit dargestellt und in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt.

Kein Zitat ohne Kontext, keine Bezeichnung als Antisemit 

Das LG hat seine Klage insgesamt abgewiesen (Urteil vom 28.04.2022 - 2-03 O 367/21). Die hiergegen eingelegte Berufung hat vor dem OLG Frankfurt a.M. jetzt nur hinsichtlich einer Aussage Erfolg (Urteil vom 08.05.2024 - 16 U 169/22). Der Politiker bekam insofern Recht, als das Zitat seine eigentliche Äußerung verfälsche. Durch das Weglassen des Kontexts seiner konkreten Kritik an der israelischen Siedlungspolitik erhalte das Zitat eine andere Färbung, so der Pressesenat. Es mache einen Unterschied, ob jemand eine generelle Ablehnung gegenüber der israelischen Bevölkerung äußere oder aber einen sachlichen Bezug wie die Siedlungspolitik anführe. 

Bezüglich der Bezeichnung des Zitats als "antisemitisch" lehnte das OLG seinen Unterlassungsantrag ab. Die Richterinnen und Richter sehen darin eine zulässige Meinungsäußerung. Durch die Verwendung des Adjektivs werde entgegen der Annahme des Mannes nicht er als Person als Antisemit bezeichnet, sondern seine konkret getätigte Äußerungen. Diese Bewertung durch die Zeitung sei auf einen objektiv tatsächlichen Anknüpfungspunkt in Form seines Posts zurückzuführen, in dem der Politiker Israel durch den Begriff "Virus" mit einem Krankheitserreger gleichgesetzt habe, welcher, ähnlich wie das Corona-Virus, ausgerottet und bekämpft werden müsse.

Der Pressesenat berücksichtigte auch, dass der Artikel der Zeitung einen Beitrag im geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage darstelle. Die kleinen Parteien als Teil der Stadtverordnetenversammlung sowie die von ihren Vertreterinnen und Vertretern getragenen Ansichten seien von wesentlichem öffentlichen Interesse.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann der klagende Politiker die Zulassung der Revision beim BGH beantragen.

 

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 13.06.2024 - 16 U 195/22

Redaktion beck-aktuell, js, 28. Mai 2024.