OLG Frankfurt am Main: Urheberrechtliches Zitatrecht kann umfangreiche schriftliche Zitate aus mündlichem Vortrag decken

Die Verwendung umfangreicher Zitate aus einer frei zugänglichen Vorlesung eines Autors in einem Presseartikel über die Vorlesung kann zulässig sein, ohne dass es darauf ankommt, ob das in öffentlicher Rede gehaltene Sprachwerk vor der Zitierung schriftlich erschienen ist. Dies hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom 18.04.2019 entschieden. Ferner unterliege das Zitatrecht anderen als den gesetzlichen Anforderungen des § 51 UrhG auch dann nicht, wenn das Sprachwerk die Intimsphäre des Urhebers betrifft (Az.: 11 O 107/18).

Redepassagen aus frei zugänglicher Vorlesung in Berichterstattung verwendet

Der Kläger ist Schriftsteller. Die Beklagte ist ein Presseunternehmen und betreibt ein Onlinemedium. Der Kläger hielt im Frühjahr 2018 im Rahmen einer Gastdozententätigkeit eine frei zugängliche Vorlesung. Die Beklagte berichtete am Folgetag ausführlich über diesen Vortrag. Dabei gab sie in mehreren Textblöcken wörtliche Zitate aus der Rede wieder, in denen auch persönliche Erlebnisse des Klägers geschildert worden waren. Der Kläger begehrte im Eilverfahren, der Beklagten die Vervielfältigung und Verbreitung konkreter Textpassagen mit seinen Zitaten zu untersagen. Das Landgericht gab dem Antrag statt. Dagegen legte die Beklagte Berufung ein.

OLG: Wiedergabe der Redepassagen vom Zitatrecht gedeckt

Die Berufung hatte Erfolg. Das OLG hat die einstweilige Verfügung aufgehoben. Die Berichterstattung sei rechtmäßig. Die wiedergegebenen Textpassagen seien zwar als Sprachwerke urheberrechtlich geschützt. Die Veröffentlichung sei jedoch über das urheberrechtliche Zitatrecht nach § 51 UrhG gerechtfertigt. Der Kläger habe das Sprachwerk selbst in freier Rede der Öffentlichkeit - den Zuhörern der Vorlesung - zugänglich gemacht. Ein Zitat in Schriftform - wie hier - setze nicht voraus, dass die Erstveröffentlichung ebenfalls in Schriftform erfolgt ist. Die Beklagte habe die Zitate auch im Rahmen eines Artikels verwendet, der seinerseits ein eigentümliches und originelles Sprachwerk darstelle. Schließlich sei die Wiedergabe der Textteile durch den zulässigen Zitatzweck gedeckt.

Berichterstattung nicht bloße Wiedergabe des Vortragskerns 

Wie das OLG erläutert, solle die Zitatfreiheit die geistige Auseinandersetzung mit fremden Werken erleichtern. Sie gestatte es daher nicht, ein fremdes Werk nur um seiner selbst willen zur Kenntnis der Allgemeinheit zu bringen. Der Zitierende müsse insofern eine innere Verbindung zwischen dem fremden Werk und den eigenen Gedanken herstellen und das Zitat als Belegstelle oder Erörterungsgrundlage für selbstständige Ausführungen erscheinen lassen. Dies sei hier der Fall, weil der Artikel nicht lediglich den Kern des Vortrags wiedergibt, sondern vielmehr in eigener Art und Weise beschreibt, wie der Kläger private Umstände im Rahmen seines Vortrags offenbarte und welche Reaktionen und Fragen er damit beim Publikum und der Autorin des Artikels auslöste.

Umfang der Zitate ebenfalls nicht zu beanstanden

Der Umfang der hier verwendeten Zitate ist laut OLG ebenfalls noch vom Zitatrecht gedeckt. Der Artikel stelle den Versuch dar, sich dem Kläger anzunähern, ihn und sein Leben, insbesondere sein literarisches Schaffen, gerade im Hinblick auf die in der Vorlesung wiedergegebenen Geschehnisse zu verstehen und zu überdenken. Die Zitate seien hier in die Darstellungen und Erläuterungen der Autorin auf verschiedenen Ebenen einbezogen und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet worden. Der Artikel reihe die Zitate gerade nicht lediglich aneinander, sondern folge einer eigenen Dramaturgie. 

Keine anderen Anforderungen bei Intimsphäre berührenden Sprachwerken

Insgesamt lägen damit die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Zitierung nach § 51 UrhG vor, die nach dem Gesetz auch nicht anderen Anforderungen unterliege, wenn der Urheber sich - wie hier - entschlossen habe, ein seine Intimsphäre berührendes Sprachwerk zu veröffentlichen.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 18.04.2019 - 11 O 107/18

Redaktion beck-aktuell, 30. April 2019.