Reise für Sommer 2020 bereits zwei Jahre zuvor gebucht
Der Kläger buchte für sich und seine Frau im August 2018 bei der Beklagten eine mehrtägige Flugreise nach Kanada gebucht, die – nach Umbuchung – im Juli/August 2020 stattfinden sollte. Er zahlte den Preis von gut 6.000 Euro an die Beklagte. Nach den Reisebedingungen entfällt im Fall des Rücktritts der Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. Der Reiseveranstalter kann dann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen, die bis zum 31. Tag vor Reisebeginn 25% des Reisepreises beträgt. Keine Entschädigung kann verlangt werden, "wenn am Bestimmungsort oder in unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise...erheblich beeinträchtigen". Mitte März 2020 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er unter Symptomen des Corona-Virus leide und die Reise im Hinblick auf die Umstände unter anderem in Kanada storniere. Eine angebotene Verschiebung der Reise auf das Folgejahr lehnte er ab und begehrte vor dem Landgericht Rückzahlung des vollen Reisepreises. Die Beklagte zahlte nach Klageerhebung 90% zurück. Das LG verurteilte die Beklagte auch zur Zahlung der zwischen den Parteien streitigen restlichen 10%.
OLG bestätigt: Reisepreis vollständig zurückzuerstatten
Die Berufung hiergegen hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger könne Rückerstattung auch des restlichen Reisepreises verlangen, bestätigte das OLG. Die Beklagte habe durch das eindeutig als Rücktritt auszulegende Schreiben des Klägers vom März 2020 ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren. Die Beklagte habe keinen Anspruch auf Entschädigung für die Stornierung in Höhe von den hier geltend gemachten 10% des Reisepreises. Der Entschädigungsanspruch sei vielmehr gemäß den Reisebedingungen im Hinblick auf vorliegende unvermeidbare außergewöhnliche Umstände, die die Reisedurchführung beeinträchtigten, ausgeschlossen.
Vorliegen einer Beeinträchtigung aus ex-ante-Sicht zu beurteilen
Ob eine derartige Beeinträchtigung vorliege, sei prognostisch – ex ante - zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung zu beurteilen. Auf spätere – zwischen Rücktrittserklärung und ursprünglich geplantem Reisebeginn – eintretende geänderte Umstände zugunsten oder zulasten einer Partei komme es nicht mehr an. Dabei bestehe ein Rücktrittsrecht wegen nicht voraussehbarer höherer Umstände schon dann, "wenn mit dem Eintritt des schädigenden Ereignisses mit erheblicher, und nicht erst dann, wenn mit ihm mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist". Eine Eintrittswahrscheinlichkeit ab einer Größenordnung von 20 bis 25% genüge in der Regel. Dies markiere zugleich "die Grenze zwischen lediglich subjektiv empfundenen Gefahren und einer sachlich begründeten Befürchtung für erhebliche Beeinträchtigungen".
Erhebliche Wahrscheinlichkeit für schädigendes Ereignis gegeben
Diese erhebliche Wahrscheinlichkeit habe hier bestanden, meint das OLG. Die Parteien seien sich einig, dass bei Kündigung bereits Reisebeschränkungen bestanden und es sich bei dem bis dahin völlig unbekannten SARS-CoV-2-Virus und der möglichen Pandemie um ein unberechenbares Geschehen handele, für dessen weitere Entwicklung im März 2020 keine sicheren oder auch nur belastbaren Prognosen aufgestellt werden konnten. Könne bei zwei Alternativen keine Aussage über die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der einen oder anderen gemacht werden, bestehe eine Wahrscheinlichkeit von jeweils 50% zu 50%. Soweit zwischen Rücktritt und Reisebeginn ein Zeitraum von vier Monaten gelegen habe, habe der Kläger auch nicht noch abwarten müssen, wie sich die Verbreitung und die Gefahren der Pandemie weiterentwickelten. Eine derartige Wartefrist sei gesetzlich nicht vorgesehen. Ein Zuwarten sei dem Reisenden auch nicht zumutbar. Gegen das Urteil ist die Revision zum BGH zugelassen worden.