OLG Frankfurt am Main: Haftung nach schwerem Verkehrsunfall auch ohne Kenntnis des Geschädigten vom Nummernschild möglich

Eine Haftung des Unfallgegners setzt nicht zwingend voraus, dass der Geschädigte das amtliche Kennzeichen des unfallbeteiligten Fahrzeugs vorträgt. Dies geht aus einem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 31.03.2020 hervor. Sei ihm dies wegen eigener schwerer Verletzungen und unerlaubten Entfernens des Gegners vom Unfallort nicht möglich, genüge es, wenn hinreichende Anhaltspunkte (etwa Firmenaufschrift, Logo) genannt werden, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit für eine Haltereigenschaft sprächen. Den in Anspruch genommenen Halter treffe dann eine sekundäre Darlegungslast (Az.: 13 U 226/15).

An schwerem Unfall beteiligter Lkw trug Firmenaufschrift und Web-Adresse

Der Geschädigte befuhr die A3 auf dem mittleren Fahrstreifen mit einer Geschwindigkeit von 170-180 km/h. Vor ihm fuhr in gleicher Fahrtrichtung auf dem rechten Fahrstreifen ein Lkw-Gliederzug mit der Firmenaufschrift „X“ sowie aufgedruckter Web-Adresse der Firma. Im Zusammenhang mit einem Spurwechsel des Lkw auf den Mittelstreifen wich der Geschädigte auf den linken Fahrstreifen aus, verlor die Kontrolle über seinen Pkw, kollidierte mit der linken Betonleitwand und überschlug sich. Der Geschädigte wurde lebensgefährlich verletzt und ist seitdem pflegebedürftig.

Kennzeichen konnte nicht identifiziert werden

Der Fahrer des Lkw hielt zunächst auf dem Seitenstreifen an und fuhr dann nach rund elf Minuten weiter, ohne zuvor Feststellungen zu seiner Person und seinem Fahrzeug ermöglicht zu haben. Der gesamte Unfallhergang wurde auf der am Unfallort installierten Verkehrsbeeinflussungsanlage per Video aufgezeichnet. Das Nummernschild ließ sich aber nicht identifizieren. Am Unfalltag befuhren insgesamt drei Lkw-Gliederzüge der Beklagten, einer italienische Spedition, die A3 im Bereich der Unfallstelle. Alle drei vernommenen Fahrer gaben vor der Polizei an, nicht an einem Unfall beteiligt gewesen zu sein.

LG: Unfallbeteiligung des Beklagten-Lkw nicht bewiesen

Der Kläger behauptete, der Unfall sei von einem zur Flotte der Beklagten gehörenden Lkw verursacht worden. Der Fahrer des Lkw-Gliederzuges der Beklagten habe offenbar den Geschädigten übersehen. Er begehrte 50% des erlittenen Schadens. Das Landgericht wies die Klage mit der Begründung ab, der Kläger könne nicht beweisen, dass der unfallbeteiligte Lkw zur Beklagten gehöre. Dagegen legte der Kläger Berufung ein.

OLG: Vorgetragene Lkw-Eigenschaften lösen sekundäre Darlegungslast aus

Die Berufung hatte Erfolg. Der Kläger habe hinreichende Anhaltspunkte vorgetragen, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit eine Haltereigenschaft der Beklagten nahelegen. Zwar habe der Kläger das amtliche Kennzeichen aufgrund der schweren Verletzungen der Pkw-Insassen und der Unfallflucht des Lkw-Fahrers nicht angeben können. Aus der Videoaufzeichnung sei aber ohne jeden Zweifel ersichtlich, dass der unfallbeteiligte Lkw die Firmenaufschrift der Beklagten trage. Auch die Heckgestaltung des unfallbeteiligten Lkw entspreche derjenigen der Lkw-Flotte der Beklagten. Dieser Vortrag habe eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten ausgelöst. Hinsichtlich der Tatsachen, von denen der Kläger keine Kenntnis haben könne, müsse der Prozessgegner alles ihm Mögliche tun, um ihm zumutbare Angaben zu machen. Die Beklagte habe nicht einfach die klägerischen Behauptungen bestreiten dürfen. Die Beklagte sei im Rahmen des Zumutbaren verpflichtet gewesen, in ihrem Geschäftsbetrieb nachzuforschen und mitzuteilen, welche Kenntnisse sie dabei über die Umstände einer eventuellen Unfallbeteiligung - insbesondere der drei Lkw, die unstreitig am Unfalltag die Autobahn im Bereich der Unfallstelle befahren hätten - gewonnen habe.

Beklagte kam sekundärer Darlegungslast nicht ausreichend nach

Dieser Verpflichtung sei die Beklagte nicht ausreichend nachgekommen, so das OLG weiter. Die Beklagte habe insbesondere weder zum Fahrzeugtyp der drei in Frage kommenden Lkw vorgetragen noch Lichtbilder oder Fahrtenschreiberdaten vorgelegt. Sie hätte anhand der Mautdaten sowie der Daten aus dem Satellitensystem der von ihr verwendeten Automarken rekonstruieren können, welcher Lkw am Unfalltag die Unfallstelle befahren habe. Zudem hätte sie jedenfalls die Fahrtenschreiberdaten der betreffenden Lkw zu diesem Zeitpunkt sichern können. Anhand dieser Daten hätten die Zeiten der Fahrten, die Zeiten der Bereitstellung und die Ruhezeiten - damit auch eine etwaige elfminütige Pause nach dem Unfall - nachvollzogen werden können. Die Beklagte habe auch nicht bestritten, dass der in den Unfall involvierte Lkw den Firmennamen sowie die Webadresse der Beklagten auf den Hecktüren des Laderaums und unter der Frontscheibe getragen habe. Dass andere Unternehmen eine wortgleiche Firma und auch diese Webadresse nutzten, erscheine höchst unwahrscheinlich.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 31.03.2020 - 13 U 226/15

Redaktion beck-aktuell, 20. April 2020.

Mehr zum Thema