OLG Frankfurt am Main: Gemeinde muss keine Pachtflächen für ganzjährige Beweidung überlassen

Eine Gemeinde kann willkürfrei den Abschluss eines Pachtvertrages mit einem Landwirt ablehnen, der anders als die übrigen ortsansässigen Landwirte eine ganzjährige Beweidung der Pachtflächen mit winterharten Rindern ohne Stallhaltung betreibt. Dies hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom 08.11.2018 entschieden (Az.: 20 U 8/15).

Landwirt soll Nutzung von Gemeindegrundstücken unterlassen

Der Beklagte ist Landwirt und betreibt im Westerwald eine Rinderzucht ohne Stallhaltung mit ganzjähriger Beweidung. Hierfür nutzte er zahlreiche landwirtschaftliche Grundstücke der klägerischen Gemeinde. Schriftliche Pachtverträge existierten nicht. Der Beklagte entrichtete keine Pachtzinsen. 2010 begann die Klägerin, ihre Pachtflächen systematisch digitalisiert zu erfassen und die Pachtverhältnisse zu ermitteln. Die Nutzer sollten ihre Pachtverträge vorlegen und weiteres Pachtinteresse anmelden. Da der Beklagte keine Pachtverträge einreichen konnte, forderte die Gemeinde ihn auf, die Grundstücke nicht mehr zu nutzen. Das Amtsgericht (Landwirtschaftsgericht) verurteilte den Beklagten antragsgemäß, die weitere Nutzung der Gemeindegrundstücke zu unterlassen. Dagegen legte der Beklagte Berufung ein.

OLG: Kein konkludent abgeschlossener Pachtvertrag

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Dem Beklagten stehe kein Recht zur Nutzung der Flächen zu, bestätigt das OLG. Unstreitig existiere kein schriftlicher Pachtvertrag. Gegen den konkludenten Abschluss eines Pachtvertrages spreche, dass der Beklagte zu keinem Zeitpunkt eine Pacht gezahlt habe. Die von ihm als Erfüllungssurrogat angeführte Beweidung sei primär im eigenen wirtschaftlichen Interesse erfolgt und keine Gegenleistung für die Gemeinde.

Kein Nutzungsrecht aus Observanz

Der Beklagte könne ein Nutzungsrecht auch nicht aus sogenannter Observanz herleiten, so das OLG weiter. Observanz bezeichne ein Gewohnheitsrecht mit örtlich begrenztem Geltungsbereich, das auf einer langdauernden und allgemeinen Übung beruhe. Hier hätten zwar teilweise ziemlich ungeordnete Verhältnisse bei der Verwaltung, Bewirtschaftung und Verpachtung der Gemeindeflächen vorgelegen. Eine als rechtsverbindlich anzusehende Übung, die Grundstücke systematisch ohne schriftlichen Vertragsschluss einzelnen ortsansässigen Landwirten zur dauerhaften Nutzung zu überlassen, lasse sich jedoch nicht feststellen.

Gemeinde kann Verpachtung wegen ganzjähriger Beweidung willkürfrei ablehnen

Das OLG erachtet es schließlich auch nicht für willkürlich, wenn die Gemeinde von einer Verpachtung an den Beklagten Abstand nimmt und an der Nutzungsuntersagung festhält. Die Gemeinde sei nicht verpflichtet, dem Beklagten die Grundstücke im Unterschied zu den anderen ortsansässigen Landwirten zur ganzjährigen Beweidung zu überlassen. Es sei zwar nicht zu verkennen, dass der Beklagte ein besonderes Betriebskonzept verfolge, bei dem er vollständig auf eine Stallunterbringung verzichte und nur Rinderrassen halte, die sich für einen ganzjährigen Verbleib auf den Weideflächen eigneten. Dass die Beweidung derartiger Flächen ganzjährig auch während der Winterperiode insbesondere unter Berücksichtigung der klimatischen Verhältnisse auf dem Westerwald zu einer besonderen und ununterbrochenen Beanspruchung der Grasnarbe führe und die mehrmonatige Erholungsphase für den Boden fehle, liege jedoch auf der Hand, so das OLG. Der Beklagte könne aus seinem Betriebskonzept keinen Anspruch ableiten, dass etwaige Verpächter die hiermit verbundene intensivere Beanspruchung ihrer Grundstücksflächen hinnehmen müssen. Es bleibe vielmehr die Entscheidung des jeweiligen Grundstückseigentümers, ob er eine derartige Bewirtschaftung gestattet.

Wiederholtes Ausbrechen von Rindern rechtfertigt Ablehnung ebenfalls

Ein sachlicher Grund für die Ablehnung der Verpachtung liegt laut OLG auch darin, dass der Beklagte mehrfach angrenzende, Dritten zur Nutzung überlassene Waldflächen eingezäunt habe. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass wiederholt Rinder des Beklagten ausgebrochen seien. Dies sei mit erheblichen Gefahren verbunden. Eine ordnungsgemäße und sichere Einzäunung der hier sehr verstreut gelegenen und jeweils wechselnd beweideten Flächen erfordere einen ganz erheblichen Zeitaufwand, den der Beklagte mit der geringen personellen Ausstattung auf Dauer nicht gewährleisten könne.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 08.11.2018 - 20 U 8/15

Redaktion beck-aktuell, 22. November 2018.

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