Entlassung Angeschuldigter aus U-Haft wegen Gerichtsüberlastung
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Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat sechs Haftbefehle aufgehoben und die Entlassung der Angeschuldigten aus der Untersuchungshaft angeordnet, weil der wei­te­re Voll­zug der Untersuchungshaft je­weils nicht mehr mit dem Be­schleu­ni­gungs­ge­bot ver­ein­bar ge­we­sen wäre. Wegen einer strukturellen Überlastung der Schwurgerichtskammern beim Landgericht Frankfurt am Main war es zu Verfahrensverzögerungen gekommen. Hes­sens Jus­tiz­mi­nis­ter Roman Pos­eck (CDU) re­agier­te auf die Ent­schei­dun­gen mit der An­kün­di­gung, die hes­si­sche Jus­tiz per­so­nell deut­lich zu stär­ken.

Untersuchungshaft von zum Teil knapp zwölf Monaten

Vier der betroffenen Angeschuldigten wird vorgeworfen, gemeinschaftlich versucht zu haben, zwei Menschen zu töten und sie dabei lebensgefährlich verletzt zu haben. Sie sollen sich nach vorangegangenen Streitigkeiten nachts am 03.07.2021 am Bahnhof in Frankfurt-Höchst mit den beiden Geschädigten getroffen und dann unter anderem mit Stöcken auf diese eingeschlagen und sie mit Messerstichen lebensgefährlich verletzt haben. Die Staatsanwaltschaft hat nach umfassenden und zügigen Ermittlungen im Januar 2022 Anklage erhoben. Die Angeschuldigten befanden sich zum Teil bereits seit knapp zwölf Monaten in Untersuchungshaft.

Hauptverfahren wegen struktureller Überlastung noch nicht eröffnet

Die zuständige Schwurgerichtskammer des LG Frankfurt am Main habe das Hauptverfahren gegen die vier Angeschuldigten bislang nicht eröffnen und terminieren können. Dass ihr dies – auch fünf Monate nach Eingang der Anklageschrift – nicht möglich gewesen sei und weiterhin auf absehbare Zeit nicht möglich sein werde, habe seine Ursache nicht in dem konkreten Verfahren selbst, sondern in der erheblichen – dem Präsidium des LG bereits im April 2022 auch angezeigten – strukturellen Überlastung mit zahlreichen Haftsachen, die auch bei nahezu täglicher Verhandlung nicht mehr zu bewältigen sei, so das OLG. Bislang sei keine Abhilfe geschaffen worden.

Fortdauer der U-Haft nicht mehr zu rechtfertigen

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liege bei einer solchen nicht nur kurzfristigen Überlastung kein wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO vor, der eine Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen könne, stellt das OLG klar. Beschuldigte in Untersuchungshaft müssten eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung eines Haftbefehls nicht in Kauf nehmen, weil der Staat es versäume, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen.

U-Haft währte in zwei weiteren Fällen ¾ Jahr und über ein Jahr

Zwei weitere betroffene Angeschuldigten befanden sich seit einem ¾ Jahr beziehungsweise über einem Jahr in Untersuchungshaft. Dem einen Angeschuldigten wird versuchter Totschlag in Tateinheit mit schwerem Raub, dem anderen Angeschuldigten wird versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vorgeworfen. Die Anklageerhebungen erfolgten Ende Januar 2022 beziehungsweise Mitte Februar 2022. Auch hier hob das OLG die Haftbefehle aus denselben Erwägungen auf.

Poseck: Schlechtes Signal für Rechtsstaat

Poseck reagierte auf die Aufhebungen der Untersuchungshaftbefehle mit Bedauern. Dass Verfahrensverzögerungen beim LG Frankfurt am Main hierzu geführt hätten, sei ein schlechtes Signal für den Rechtsstaat, der für eine konsequente Strafverfolgung stehen sollte.

Richter am LG Frankfurt am Main stark belastet

Das LG Frankfurt am Main hatte laut Justizministerium Hessen 2021 eine Belastung im richterlichen Dienst von 111,80% (hessenweit: 118,98%). Für das laufende Jahr ergebe sich hochgerechnet eine Belastung von 110,67% (hessenweit: 117,31%). Dem LG seien zum 01.01.2022 drei neue Planstellen zugewiesen worden. Seit Jahresbeginn hätten bis heute zehn Neueinstellungen von Richterinnen und Richtern auf Probe bei dem LG vorgenommen werden können, so das Justizministerium Hessen.

Deutliche personelle Stärkung der Gerichte angekündigt

"Es ist mir ein wichtiges Anliegen, die Gerichte durch weitere zusätzliche Stellen personell deutlich zu stärken. Davon wird auch das Landgericht Frankfurt am Main signifikant profitieren", betonte Poesck. Er habe die Obleute im rechtspolitischen Ausschuss am 01.07.2022 über die Fälle aus Anlass der Entscheidung des OLG vom 30.06.2022 unterrichtet.

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 30.06.2022 - 2 HEs 224-227/22

Redaktion beck-aktuell, 4. Juli 2022.