Gedicht als Reaktion auf Anzeige wegen nicht angemeldeter Versammlungen
Die Klägerin engagiert sich in einer Initiative, die die Verhältnismäßigkeit der staatlich angeordneten Corona-Maßnahmen hinterfragt und in einer mittelhessischen Stadt seit Sommer 2021 angemeldete öffentliche Versammlungen durchführt. Im Zusammenhang mit zuvor durchgeführten nicht angemeldeten Zusammenkünften war auch die Klägerin beim Ordnungsamt angezeigt worden. Altstadtbewohner hatten den Bürgermeister auf diese Zusammenkünfte aufmerksam gemacht. Die Klägerin veröffentlichte daraufhin im Internet ein Gedicht unter dem Titel "Denunzianten", in dem es unter anderem heißt, dass "manch einer", der "genüsslich denunzierte" sich vor einem "Drei-Mann-Standgericht" wiederfand, dessen Urteil "Tod durch Erschießen" lautete.
Öffentlicher Streit um Deutung des Gerichts
Die Beklagte engagiert sich in einer Gegeninitiative und veröffentlichte über Facebook ihrerseits einen Text. Die Klägerin wurde dort aufgefordert zu erklären, was sie mit ihrem "unfassbaren Statement" genau meinte. Weiter heißt es: "Darin fordert (die Klägerin) sinngemäß für in ihren Augen Denunzianten ein knappes 3-Mann-Standgericht mit dem einzig richtigen Urteil `Tod durch Erschießen`". Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Eilverfahren, dass sie es unterlässt, zu behaupten, sie fordere in Bezug auf die Anzeigen von Bürgern hinsichtlich der nicht angemeldeten Zusammenkünfte die genannte Vorgehensweise.
LG und OLG verneinen Unterlassungsanspruch
Das Landgericht hatte in erster Instanz den Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Klägerin stehe kein Unterlassungsanspruch zu, stellte das OLG fest. Bei der angegriffenen Äußerung handele es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung. Aus dem Gesamtkontext ergebe sich vielmehr, dass eine Meinungsäußerung vorliege. Maßstab sei dabei das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Demnach habe die Beklagte ihr Verständnis von dem Text der Klägerin wiedergegeben. Der Leser verstehe, dass die angegriffene Äußerung "die Deutung" der Beklagten sei. Dafür spreche schon der Zusatz "sinngemäß". Der Klägerin werde dagegen nicht eine Äußerung "in den Mund gelegt", die sie so nicht getan habe. Die angegriffene Äußerung enthalte kein objektiv falsches Zitat, sondern die Interpretation eines Dritten, hier der Beklagten.