D&O-Versicherung muss Ex-Wirecard-Chef vorläufige Abwehrdeckung gewähren

Die D&O-Versicherung kann sich gegenüber der Wirecard AG nicht auf einen Leistungsausschluss wegen einer arglistigen Täuschung bei Vertragsverlängerung stützen. Dies hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschieden. Der Versicherungsschutz entfalle erst bei der hier fehlenden Feststellung einer vorsätzlichen oder wissentlichen Pflichtverletzung, wofür eine rechtskräftige Entscheidung oder ein Eingeständnis erforderlich sei. Daran fehle es hier.

Ex-Wirecard-Chef fordert vorläufige Kostendeckung durch D&O-Versicherung 

Der Verfügungskläger ist ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Wirecard AG. Er begehrte im Wege einer einstweiligen Verfügung die Gewährung vorläufiger Abwehrkosten aus einer sogenannten D&O-Versicherung (Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung), welche die Wirecard bei der Verfügungsbeklagten für ihre Organmitglieder und Leitende Angestellte abgeschlossen hatte. Im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal, bei dem Milliardenbeträge verschwunden sind, ist gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des bandenmäßigen Betrugs, der Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Verstößen gegen das WpHG eingeleitet worden. Er befindet sich seit Sommer 2020 in Untersuchungshaft. Gegen ihn sind zahlreiche Arrest- und Pfändungsbeschlüsse ausgebracht. Eine Schadensersatzklage in Millionenhöhe ist anhängig. Nachdem die Versicherung Kostenübernahme zur Abwehr der Schadensersatzansprüche abgelehnt hatte, erhob der Kläger Deckungsklage und beantragte eine Leistungsverfügung. Das Landgericht gab dem Antrag weitgehend statt. Dagegen legte die Versicherung Berufung ein.

OLG: Versicherung kann sich nicht auf Leistungsausschluss berufen

Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen. Die Versicherung könne sich nicht auf die Leistungsausschlüsse wegen einer arglistigen Täuschung bei Vertragsverlängerung berufen. Der Versicherungsschutz entfalle gemäß den Vertragsbedingungen erst bei der Feststellung einer vorsätzlichen oder wissentlichen Pflichtverletzung. Voraussetzung sei eine rechtskräftige Entscheidung oder ein Eingeständnis der versicherten Person, aus der/dem sich die Tatsachen ergäben, welche die wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung belegten. Daran fehle es hier.

Rechtsschutzverpflichtung zur Abwehr unberechtigter Ansprüche existenziell

Die Rechtsschutzverpflichtung zur Abwehr unberechtigter Ansprüche Dritter sei für den Versicherten von existentieller Bedeutung. Mache ein Dritter in der Begründung seines vermeintlichen Haftpflichtanspruchs Tatsachen geltend, die eine wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung der versicherten Person beinhalteten, sehe sich der – möglicherweise zu Unrecht bezichtigte – Versicherte der Situation ausgesetzt, dass er im Falle einer Deckungsablehnung seitens des Versicherers ohne Rechtsschutz dastünde und auf einen langwierigen (vorweggenommenen) Deckungsprozess gegen den Versicherer angewiesen wäre.

Bislang keine rechtskräftige Entscheidung über vorsätzliche Pflichtverletzung 

Dem berechtigten Interesse des zu Unrecht beschuldigten Managers nach bestmöglicher Absicherung habe die Verfügungsbeklagte durch die besondere Ausgestaltung der vorläufigen Verteidigungskosten in den Versicherungsbedingungen Rechnung getragen. Dies komme auch dem Verfügungskläger zugute, der sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe - insbesondere auch den der Bilanzfälschung, auf welche die Verfügungsbeklagte den Vorwurf der Arglist stütze - bestreite. An einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung, welche die vorsätzliche Pflichtverletzung belege, fehle es derzeit. Sie könne weder im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren noch im Hauptsacheverfahren getroffen werden, da die Formulierung “eine rechtskräftige Entscheidung“ auf ein außerhalb des Deckungsprozesses stattfindendes Verfahren hinweise. Angesichts des weitgefassten Leistungsversprechens könne die Verfügungsbeklagte sich bis dahin nicht mit deckungsgleicher Begründung auf arglistige Täuschung berufen.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 07.07.2021 - 7 U 19/21

Redaktion beck-aktuell, 8. Juli 2021.