Nach Berufung nicht über neue Rechtslage aufgeklärt: Anwältin haftet für Mehrkosten

Eine Anwältin riet ihrer Mandantin nicht zur Rücknahme ihrer Berufung, obwohl diese infolge einer BGH-Entscheidung aussichtslos geworden war. Laut OLG Frankfurt a.M. haftet sie nun ihrem Rechtsschutzversicherer für die verursachten Kosten.

Die Anwältin machte für ihre Mandantin nach Widerruf eines Kreditvertrags Rückgewähransprüche geltend. Nachdem sie in erster Instanz eine Niederlage kassiert hatte, legte sie im Sommer 2018 Berufung ein, für welche die Mandantin erneut von ihrer Rechtsschutzversicherung eine Deckungszusage erhielt. Im November 2019 wies das OLG auf die fehlenden Aussichten der Berufung hin, nachdem zuvor im April der BGH eine zur verwendeten Widerrufsbelehrung aufgeworfene Frage geklärt hatte. Die Anwältin reagierte darauf nicht, das OLG wies die Berufung schließlich nach § 522 Abs. 2 ZPO zurück.

Die Rechtsschutzversicherung nahm die Anwältin anschließend in Regress für die Kosten von rund 15.500 Euro, die sie für das Berufungsverfahren übernommen hatte. Sie warf ihr vor, ihre Beratungspflichten verletzt zu haben, weil sie ihre Mandantin nicht über die Aussichtslosigkeit der Berufung aufgeklärt habe. Das LG hielt die von der Anwältin eingelegte Berufung für von Anfang an aussichtslos und gab der Klage des Versicherers in vollem Umfang statt.

Aufklärungspflicht auch bei Veränderung der Erfolgsaussichten

Die Berufung der Anwältin dagegen hatte beim OLG Frankfurt a. M. überwiegend Erfolg (Urteil vom 28.08.2024 - 3 U 193/23). Sie hafte allerdings für die Mehrkosten, die dadurch entstanden seien, dass sie ihrer Mandantin 2019 nicht geraten habe, die Berufung zurückzunehmen, entschied das Gericht. Zwar hätte sie ihrer Mandantin nicht schon 2018 von der Berufungseinlegung abraten müssen, da die zur verwendeten Widerrufsbelehrung aufgeworfene Frage zu diesem Zeitpunkt noch nicht höchstrichterlich geklärt gewesen sei. Laut OLG hätte sie ihr aber spätestens nach dem Hinweisbeschluss im November 2019 aufgrund der inzwischen ergangenen BGH-Entscheidung zur Rücknahme der nun aussichtslos gewordenen Berufung raten müssen. 

Ihre Aufklärungspflicht über die Erfolgsaussichten der Berufung habe nicht mit deren Einlegung geendet, so das OLG: Verändere sich die rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage im Laufe des Verfahrens, müsse die Mandantin oder der Mandant über eine damit verbundene Verschlechterung der Erfolgsaussichten aufgeklärt werden. Die Rechtsschutzversicherung der Mandantin und die bereits erteilte Deckungszusage änderten nichts an der Pflicht der Anwältin zur Aufklärung über die Erfolgsaussichten.

Der unterbliebene Rat war laut OLG auch kausal für den Schaden: Hätte die Anwältin pflichtgemäß zur Rücknahme geraten, wäre ihre Mandantin diesem Rat auch gefolgt, befand das Gericht. Dafür spreche trotz Rechtsschutzversicherung der Anscheinsbeweis für ein beratungsgerechtes Verhalten, da hier nach der höchstrichterlichen Klärung keinerlei Erfolgsaussichten mehr bestanden hätten.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 28.08.2024 - 3 U 193/23

Redaktion beck-aktuell, hs, 9. Dezember 2024.