Prozess gegen früheren KZ-Hauptmann: verhandlungsfähig oder nicht?

Es bleibt vorerst offen, ob ein Prozess gegen einen heute 100-jährigen ehemaligen KZ-Wachmann wegen tausendfacher Beihilfe zum Mord noch stattfinden wird. Das OLG Frankfurt am Main ließ kaum ein gutes Haar an einem Gutachten, das die Verhandlungsfähigkeit des Mannes verneint hatte.

Vor dem LG Hanau wird daher nun möglicherweise doch gegen den mutmaßlichen früheren KZ-Wachmann verhandelt. Das Gericht hatte im Mai die Eröffnung eines Hauptverfahrens noch abgelehnt, nachdem ein Sachverständiger festgestellt hatte, dass der Mann verhandlungs-, vernehmungs- und reiseunfähig sei (Beschluss vom 06.05.2024 - 2 Ks 501 Js 33635/22 (8/24)). Gegen das Gutachten des Sachverständigen richteten sich die Beschwerden der Staatsanwaltschaft und mehrerer Nebenkläger - mit Erfolg. Das OLG Frankfurt am Main hob den Ablehnungsbeschluss nun auf. Das Gutachten weise mehrere Mängel auf, das LG Hanau müsse zur Verhandlungsfähigkeit nachermitteln (Beschluss vom 22.10.2024 - 7 Ws 169/24).

Im Raum steht eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum Mord in 3.322 Fällen im KZ Sachsenhausen. Der Mann aus dem Main-Kinzig-Kreis soll zwischen 1943 und 1945 "die grausame und heimtückische Tötung Tausender Häftlinge unterstützt haben". Als Angehöriger eines SS-Wachbataillons soll er unter anderem im KZ untergebrachte Häftlinge bewacht haben. Auch bei der Überführung ankommender Häftlinge vom Bahnhof in das Hauptlager sowie bei Häftlingstransporten soll er eingesetzt gewesen sein. Weil der Mann damals noch nicht erwachsen war und im Jugendstrafrecht das Wohnortprinzip gilt, hatte die Jugendkammer des LG Hanau über eine Zulassung der Anklage gegen den 100-jährigen zu entscheiden.

OLG nimmt Gutachten auseinander

Das OLG begründete seine Entscheidung vor allem damit, dass das LG gegen das verfassungsrechtliche Gebot der bestmöglichen Sachaufklärung verstoßen habe. Die Verhandlungsfähigkeit sei im Freibeweisverfahren zu klären. Bediene sich ein Gericht eines Sachverständigen, so dürfe es dessen Ausführungen nicht unkritisch übernehmen – Diagnosen und Ergebnisse seien zu hinterfragen, das Gutachten anhand der Mindeststandards zu prüfen. Wichtig sei vor allem die Prüfung der Nachvollziehbarkeit und Transparenz durch die Gerichte, so das OLG Frankfurt.

Eben dies sei im Fall des mutmaßlichen SS-Mannes nicht geschehen. Der Sachverständige habe nicht alle Quellen für seinen Befund einbezogen, weswegen es an ausreichenden Anknüpfungstatsachen für die sachverständige Einschätzung gefehlt habe. Er habe selbst angegeben, dass eine Befragung des 100-Jährigen nicht möglich gewesen sei und die Möglichkeit für eine umfangreiche psychiatrische Testung nicht zur Verfügung gestanden habe. Er habe auch das Umfeld des Angeschuldigten nicht befragen können. Schließlich fehlten Unterlagen zur Krankengeschichte zwischen der Erst- und der Zweibegutachtung.

Auch leide das Gutachten an Darstellungsmängeln, so das Gericht weiter. Weshalb der Mann verhandlungsunfähig sei, sei nicht nachvollziehbar dargestellt worden. Verhandlungsunfähigkeit sei nur bei "solchen Einschränkungen der geistigen, psychischen oder körperlichen Fähigkeiten anzunehmen, deren Auswirkungen auf die tatsächliche Wahrnehmung der Verfahrensrechte durch verfahrensrechtliche Hilfen für den Angeklagten nicht hinreichend ausgeglichen werden können", führte der Senat aus. Für das OLG reichten die Informationen aus dem Gutachten nicht aus, um dem LG eine eigene Überzeugungsbildung vom tatsächlichen Vorliegen der Verhandlungsunfähigkeit zu ermöglichen.

In seiner Kritik an dem Sachverständigen-Gutachten wird das OLG deutlich: Es moniert, "die Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des Einsatzes technischer, medizinischer oder verfahrensrechtlicher Hilfen" sei "lückenhaft, oberflächlich und teils widersprüchlich". Das Gutachten erkläre nicht ausreichend, weshalb sich der Mann in einer konkreten Lebens- oder schwerwiegenden Gesundheitsgefährdung befände, eine Abwägung sei anhand der gutachterlichen Informationen nicht möglich gewesen. Daher verwies das OLG Frankfurt das Verfahren zurück an das LG Hanau, wo die Jugendkammer zur Durchführung der erforderlichen Nachermittlungen verpflichtet ist.

Staatsanwaltschaft zufrieden

Der Frankfurter Generalstaatsanwalt Torsten Kunze zeigte sich zufrieden mit der Entscheidung. "Sollte das Hauptverfahren eröffnet werden, könnte es sich um den letzten Prozess dieser Art handeln, was die historische Bedeutung des Verfahrens unterstreicht."

Auch Nils Lund, Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft, sagte gegenüber der dpa, dass es jetzt die Chance gebe, dass die Verhandlung stattfinden kann. Das sei jedoch "nicht sicher", so Lund – mit Blick auf das hohe Alter des Beschuldigten sei bei der Nachprüfung der Verhandlungsfähigkeit Eile geboten. Eine Frist für das LG Hanau gibt es jedoch nicht.

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 22.10.2024 - 7 Ws 169/24

Redaktion beck-aktuell, js, 3. Dezember 2024 (ergänzt durch Material der dpa).