50.000 Euro Schmer­zens­geld für zu spät er­kann­te Krebs­er­kran­kung

Ver­stirbt eine 70-jäh­ri­ge Pa­ti­en­tin an einer zu spät er­kann­ten Krebs­er­kran­kung, sind für die Be­mes­sung des Schmer­zens­gel­des ei­ner­seits ihr Lei­dens­weg, ins­be­son­de­re die Hef­tig­keit und Dauer der Schmer­zen, ma­ß­geb­lich, an­de­rer­seits ihr Alter und ihre fa­mi­liä­re Si­tua­ti­on. Bei­des lasse Rück­schlüs­se auf die er­lit­te­nen Le­bens­be­ein­träch­ti­gun­gen zu, so das Ober­lan­des­ge­richt Frank­furt am Main, das auf die­ser Grund­la­ge ein Schmer­zens­geld von 50.000 Euro zu­sprach.

Wit­wer ver­klagt be­han­deln­den Arzt

Der Klä­ger macht für seine ver­stor­be­ne Ehe­frau Schmer­zens­geld gegen den be­han­deln­den Arzt gel­tend. Die Pa­ti­en­tin war im Herbst 2010 wegen un­de­fi­nier­ba­rer Schmer­zen in einem be­reits ge­schwol­le­nen rech­ten Ober­schen­kel in die or­tho­pä­di­sche Fach­pra­xis des Be­klag­ten über­wie­sen wor­den. Dort wur­den im Ok­to­ber le­dig­lich ein Hä­ma­tom dia­gnos­ti­ziert und ein Schmerz­mit­tel ver­ord­net. Erst Ende No­vem­ber ver­an­lass­te der Be­klag­te eine MRT-Un­ter­su­chung, die einen Tumor er­kann­te, der im De­zem­ber re­se­ziert wurde. Nach­dem be­reits im Fe­bru­ar 2011 eine Me­ta­sta­se ge­fun­den wor­den war, konn­te der Krebs nicht mehr ein­ge­dämmt wer­den. Die Pa­ti­en­tin ver­starb im Au­gust 2012.

Fehl­ver­hal­ten des Arz­tes be­jaht

Wäh­rend das Land­ge­richt ein Schmer­zens­geld in Höhe von 30.000 Euro zu­sprach, hat das Ober­lan­des­ge­richt nach Ab­schluss des Be­ru­fungs­ver­fah­rens den Arzt zu einer Zah­lung von 50.000 Euro Schmer­zens­geld ver­ur­teilt. Der Be­klag­te hafte für die durch sein Fehl­ver­hal­ten ent­stan­de­nen Schä­den, da er die Er­he­bung me­di­zi­nisch ge­bo­te­ner Be­fun­de un­ter­las­sen habe. Der Tumor hätte gemäß den An­ga­ben des Sach­ver­stän­di­gen be­reits Ende Ok­to­ber er­kannt wer­den kön­nen. Bei einer um einen Monat frü­he­ren Dia­gno­se wäre die sta­tis­ti­sche Pro­gno­se der Pa­ti­en­tin um 10-20% bes­ser ge­we­sen, so das Be­ru­fungs­ge­richt.

Be­mes­sungs­grund­la­gen für das Schmer­zens­geld

Bei der Be­mes­sung des Schmer­zens­gel­des seien "ei­ner­seits der Lei­dens­weg der Pa­ti­en­tin bis zu ihrem Tod, aus dem sich ins­be­son­de­re die Hef­tig­keit und Dauer ihrer Schmer­zen ab­le­sen lasse, und an­de­rer­seits ihr Alter und ihre fa­mi­liä­re Si­tua­ti­on, die Rück­schlüs­se auf die er­lit­te­ne Le­bens­be­ein­träch­ti­gung zu­las­sen," zu be­rück­sich­ti­gen, so das OLG wei­ter. Schwer­punkt der Schmer­zens­geld­be­wer­tung so­wohl hin­sicht­lich der kör­per­li­chen als auch psy­chi­schen Le­bens­be­ein­träch­ti­gun­gen sei der Zeit­raum ab Be­kannt­wer­den der ers­ten Me­ta­sta­se. Ab die­sem Zeit­punkt sei das dem Be­klag­ten nicht zu­re­chen­ba­re Grund­lei­den mit den damit ver­bun­de­nen Be­schwer­den und Ein­schrän­kun­gen immer wei­ter in den Hin­ter­grund ge­tre­ten.

Kampf ums Über­le­ben schmerz- und lei­dens­ge­prägt

Die Pa­ti­en­tin habe ihre Chan­cen auf eine Ge­ne­sung zu­neh­mend schwin­den sehen und sich auf den immer kon­kre­ter be­vor­ste­hen­den Tod ein­stel­len müs­sen, heißt es im Ur­teil wei­ter. Die klä­ge­ri­sche Dar­stel­lung ihres letz­ten Le­bens­ab­schnit­tes mit schreck­li­chen Schmer­zen, Ver­zweif­lung und To­des­angst sei un­mit­tel­bar nach­voll­zieh­bar und ent­spre­che den "all­ge­mein be­kann­ten furcht­ba­ren Er­leb­nis­sen von Men­schen mit einer Krebs­er­kran­kung im End­sta­di­um." Grund­la­ge der Be­mes­sung sei damit hier, dass sich eine 70 Jahre alte ver­hei­ra­te­te Frau mit zwei Kin­dern und zwei En­kel­kin­dern wegen Me­ta­sta­sen zu­neh­mend Sor­gen um ihr Leben ma­chen und di­ver­sen kör­per­lich und psy­chisch be­las­ten­den me­di­zi­ni­schen Ein­grif­fen un­ter­zie­hen muss­te. Ab An­fang 2012 sei ihr Kampf ums Über­le­ben immer ver­zwei­fel­ter ge­wor­den, die letz­ten ihr ver­blei­ben­den acht Mo­na­te seien lei­dens­ge­prägt und mit ent­setz­li­chen Schmer­zen ver­bun­den ge­we­sen.

50.000 Euro für Lei­dens­weg an­ge­mes­sen

Für einen sol­chen Lei­dens­weg sei hier ein Schmer­zens­geld in Höhe von 50.000 Euro an­ge­mes­sen. Dabei seien fol­gen­de As­pek­te zu be­rück­sich­ti­gen: Die Lei­dens­dau­er von etwa an­dert­halb Jah­ren sei im Ver­gleich zu an­de­ren Fäl­len eher ge­ring. Die Pa­ti­en­tin hätte vor­aus­sicht­lich ohne den Feh­ler zwar noch eine ganze Reihe von Jah­ren leben kön­nen. Ihr Leben sei aber erst zu einem Zeit­punkt be­ein­träch­tigt wor­den, zu dem sie per­sön­lich al­lein schon wegen ihrer Grund­er­kran­kung "er­heb­li­che Ein­schrän­kun­gen im Sport- und Frei­zeit­be­reich hätte hin­neh­men müs­sen und zu dem sich sta­tis­tisch als­bald wei­te­re al­ters­be­ding­te ge­sund­heit­li­che Pro­ble­me hin­zu­ge­sellt hät­ten." Sie habe schlie­ß­lich keine schutz­be­dürf­ti­gen An­ge­hö­ri­gen zu­rück­las­sen müs­sen, so die OLG-Rich­ter.

Ver­schlech­te­rung der Grund­er­kran­kung dem Arzt nur ein­ge­schränkt zu­re­chen­bar

Hin­sicht­lich der Grund­er­kran­kung selbst habe der Be­klag­te al­len­falls eine nicht nä­he­rungs­wei­se be­stimm­ba­re Ver­schlech­te­rung zu ver­tre­ten, so dass die damit ver­bun­de­nen Schmer­zen ihm nur sehr ein­ge­schränkt zu­ge­rech­net wer­den könn­ten. Die Ge­nug­tu­ungs­funk­ti­on des Schmer­zens­gel­des spie­le vor­lie­gend keine Rolle, auch der Grad des Ver­schul­dens des Be­klag­ten sowie die wirt­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se der Par­tei­en seien von un­ter­ge­ord­ne­ter Be­deu­tung.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 22.12.2020 - 8 U 142/18

Redaktion beck-aktuell, 2. März 2021.

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