Trotz Bedarfsanmeldung kein Platz für Sohn nachgewiesen
Kinder haben ab Vollendung des ersten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege. Wie das OLG ausführt, ergibt sich daraus die Amtspflicht des Trägers der Jugendhilfe, jedem anspruchsberechtigten Kind, für welches rechtzeitig Bedarf angemeldet wurde, einen angemessenen Platz nachzuweisen. Die Klägerin begehrte vom beklagten Landkreis Schadenersatz wegen Amtspflichtverletzung, da er ihr von März bis November 2018 trotz Bedarfsanmeldung keinen zumutbaren Betreuungsplatz für ihren einjährigen Sohn angeboten habe. Der Beklagte ist Träger der öffentlichen Jugendhilfe.
OLG gesteht höheren Schadenersatz zu als Vorinstanz
Das Landgericht hatte der Klage in Höhe von gut 18.000 Euro stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG der Mutter weiteren Schadenersatz in Höhe von gut 5.000 Euro zugesprochen. Der Beklagte habe seine Amtspflicht zur unbedingten Gewährleistung eines Betreuungsplatzes verletzt, führt das OLG zur Begründung aus. Er sei verpflichtet, sicherzustellen, dass eine dem Bedarf entsprechende Anzahl von Betreuungsplätzen vorgehalten werde. Diese Pflicht bestehe auch nicht etwa nur im Rahmen der vorhandenen, von den Gemeinden geschaffenen Kapazitäten. Vielmehr sei der beklagte Landkreis aufgrund seiner Gesamtverantwortung gehalten, eine ausreichende Anzahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder durch geeignete Dritte bereitzustellen.
Anmeldung bei nur einer Wunscheinrichtung nicht ausreichend
Trotz rechtzeitiger Anmeldung des Bedarfs habe der Landkreis dem Sohn der Klägerin keinen zumutbaren Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt, so das Gericht weiter. Die Klägerin habe ihren Bedarf unmittelbar nach der Geburt rechtzeitig bei der Gemeinde angemeldet. Zwar werde vielfach die bloße Anmeldung bei einer Wunscheinrichtung nicht als ausreichend angesehen, hier aber habe die Klägerin unter anderem durch das Ankreuzen aller vorhandenen Kinderbetreuungseinrichtungen und der Kindertagespflege deutlich gemacht, dass sie einen umfassenden Betreuungsbedarf geltend mache. Da die Gemeinde zur Weiterleitung von Bedarfsmeldungen an den Landkreis verpflichtet sei, habe sie den Bedarf auch nicht unmittelbar gegenüber dem Landkreis anmelden müssen.
Tatsächlich nachgewiesener Platz war zu weit entfernt
Der Beklagte habe der Klägerin keinen zumutbaren Platz für den streitgegenständlichen Zeitraum nachgewiesen. Ein Platz müsse dem konkret-individuellen Bedarf des Kindes und seiner Eltern in zeitlicher und räumlicher Hinsicht entsprechen. Der Nachweis erfordere dabei das aktive Handeln des Beklagten im Sinn eines Vermittelns beziehungsweise Verschaffens. Soweit der Beklagte nur darauf verweise, es seien freie Plätze vorhanden gewesen, genüge dies nicht. Der von dem Beklagten tatsächlich nachgewiesene Platz in Offenbach sei angesichts der räumlichen Entfernung nicht zumutbar gewesen, so das OLG. Die Fahrzeit vom Wohnort zum Betreuungsplatz betrüge bereits ohne Berücksichtigung der erheblichen Verkehrsbelastung dieser Strecke in den üblichen Bring- und Abholzeiten 30 Minuten. Bis zum Arbeitsplatz wäre die Klägerin 56 Minuten für eine Strecke unterwegs. Bei der Zumutbarkeitsprüfung sei neben dem individuellen Bedarf des Kindes auch auf die Bedürfnisse der Eltern einzugehen.
Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt
Die Klägerin habe damit Anspruch auf Ersatz des erlittenen Verdienstausfalls, den sie infolge des Fehlens eines Betreuungsplatzes erlitten habe. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Es ist Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt worden, die beim Bundesgerichtshof unter dem Aktenzeichen III ZR 91/21 geführt wird.