OLG Düsseldorf eröffnet Loveparade-Strafverfahren vor LG Duisburg

Die Loveparade-Katastrophe von 2010, bei der 21 Menschen getötet und über 600 verletzt wurden, wird nun doch strafprozessual aufgearbeitet. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat am 18.04.2017 die Anklage gegen alle zehn Angeklagten zugelassen. Anders als das Landgericht Duisburg hält das OLG eine Verurteilung der Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung beziehungsweise fahrlässiger Körperverletzung im Amt für hinreichend wahrscheinlich (Az.: III - 2 Ws 528/16 bis III - 2 Ws 577/16).

OLG: Ermittlungsergebnis legt Vorhersehbarkeit der Katastrophe nahe

Nach Auffassung des OLG sind die den Angeklagten vorgeworfenen Taten mit den in der Anklage aufgeführten Beweismitteln mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachweisbar. Dass die den Angeschuldigten vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen ursächlich für die Todes- und Verletzungsfolgen waren, dränge sich nach dem Ermittlungsergebnis auf. Das Ermittlungsergebnis lege nahe, dass die unzureichende Dimensionierung und Ausgestaltung des Ein- und Ausgangssystems für die Besucher und die mangelnde Durchflusskapazität planerisch angelegt und für die Angeklagten vorhersehbar zu der Katastrophe geführt haben.

LG stellte zu hohe Anforderungen an "hinreichenden Tatverdacht"

Das gegenteilige Ergebnis des LG Duisburg führt das OLG Düsseldorf darauf zurück, dass das LG zu hohe Anforderungen an die Annahme eines "hinreichenden Tatverdachts" gestellt habe. Wesentliche Elemente des ermittelten Sachverhalts seien bei der Prüfung des LG nicht ausreichend berücksichtigt und deshalb nicht zur Grundlage der Entscheidung gemacht worden. Alternative Ursachen für die Katastrophe seien zwar als möglich benannt, nicht aber festgestellt worden. Das Gutachten des Sachverständigen Still sei entgegen der Annahme des LG in der Hauptverhandlung verwertbar.

Alle Umstände der Planung, Genehmigung und Durchführung relevant

Das LG habe nicht den ganzen mit der Anklage vorgetragenen Sachverhalt zur Grundlage seiner Bewertung gemacht. Gegenstand einer Anklage sei immer ein Lebenssachverhalt als Ganzer, vorliegend damit alle Aspekte im Zusammenhang mit der Planung, Genehmigung und Durchführung der Loveparade 2010. Auch wenn der Schwerpunkt der Anklagebegründung auf einer Überschreitung der maximalen Durchflusskapazität für Besucher auf der Rampe Ost gelegen habe, hätte sich die Prüfung des LG nicht auf diesen Aspekt beschränken dürfen, sondern alle weiteren Umstände der Planung, Genehmigung und Durchführung berücksichtigen müssen. Hierzu zählten die fehlende Gewährleistung einer begrenzenden Wirkung der Vereinzelungsanlagen, die fehlende Gewähr eines hinreichenden Personenzuflusses zur Veranstaltungsfläche am Rampenkopf und ein dort zu erwartender Rückstau, die Gegenstromproblematik mangels Trennung der Zu- und Ausgangswege sowie die unzureichende Dimensionierung und mangelnde Eignung des Ein- und Ausgangssystems insgesamt.

Vorwerfbarer Zusammenhang zwischen Planungsfehlern und Katastrophe ausreichend wahrscheinlich

Anders als das LG sieht das OLG auch ausreichende Anhaltspunkte für einen vorwerfbaren Zusammenhang zwischen den anzunehmenden Planungsfehlern und dem Eintritt der Katastrophe. Das LG begründe sein gegenteiliges Ergebnis damit, dass auch andere Umstände möglicherweise alleinursächlich für die Katastrophe gewesen seien, so etwa die unterbliebene Schließung der Vereinzelungsanlagen, die Bildung von Polizeiketten oder die Einfahrt eines Polizeifahrzeugs in den Rampenbereich. Dies überzeugte das OLG nicht. Weder habe das LG einzelne dieser Umstände als alleinige Ursache der Katastrophe festgestellt noch sei dies ersichtlich. Sofern aber solche anderen Umstände als alleinige Ursache für die Katastrophe nicht feststellbar seien, könnten diese einen hinreichenden Tatverdacht nicht entkräften.

Sachverständiger Still nicht befangen

Das Gutachten des Sachverständigen Still sei entgegen der Auffassung des LG sowohl prozessual als auch inhaltlich verwertbar, so das OLG weiter. Weder sei von einer Befangenheit des Gutachters auszugehen noch weise das Gutachten durchgreifende inhaltliche oder methodische Mängel auf. Von einer Voreingenommenheit des Gutachters sei nicht auszugehen. Der Sachverständige habe sich zwar öffentlich in Vorlesungen und in einem Fachbuch zu seinem Ergebnis der Begutachtung geäußert. Dies sei jedoch weder grundsätzlich unzulässig noch folge hieraus die Festlegung auf bestimmte Ergebnisse bei der Erstattung seines Gutachtens in der Hauptverhandlung. Zwar habe sich der Sachverständige überspitzt und ironisch zur Planung und Durchführung der Loveparade geäußert. Dies habe jedoch didaktischen Zwecken und nicht der Herabwürdigung der Angeklagten gedient. Auch sieht das OLG keine Anhaltspunkte für eine unzulässige Einflussnahme auf den Sachverständigen durch Dritte oder eine das erforderliche Maß überschreitende Beteiligung von Hilfskräften bei der Gutachtenerstellung.

Gutachten inhaltlich und methodisch einwandfrei

Soweit das LG inhaltliche und methodische Mängel des Gutachtens anführt, teilt das OLG diese Auffassung in entscheidenden Punkten nicht. So habe der Sachverständige beispielsweise nicht nur eine erste grobe Risikoanalyse der Planungen vorgenommen, sondern konkret ausgeführt, dass das Ein- und Ausgangssystem von vornherein unzureichend dimensioniert und ausgestaltet gewesen sei. Dieses Defizit, so der Sachverständige, habe sich in der Katastrophe auch realisiert. Ihm sei ebenso wenig vorzuwerfen, dass er seiner Begutachtung aus seiner Sicht manipulierte Besucherplanzahlen zugrunde gelegt habe. Diese Zahlen hätten jedenfalls der Planung und Genehmigung zugrunde gelegen. Sollte das LG davon abweichende Besucherplanzahlen für maßgeblich erachtet haben, hätte sie diese dem Sachverständigen als Anknüpfungstatsache für seine Begutachtung mitteilen müssen. Darüber hinaus hätte es dem LG oblegen, die vom Sachverständigen mitgeteilten Ergebnisse seines Gutachtens nach deutschem Recht zu bewerten. Deshalb stelle es die Eignung des Gutachtens nicht in Frage, dass der britische Sachverständige diesem ein nicht dem deutschen Strafrecht entsprechendes Rechtsverständnis zu Fragen von Kausalität und Zurechenbarkeit zugrunde gelegt oder deutsche Rechtsnormen möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt habe.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.04.2017 - 2 Ws 528/16

Redaktion beck-aktuell, 24. April 2017.

Mehr zum Thema