Wiederaufnahme eines Strafverfahrens nach fast 40 Jahren zulässig
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Nach fast 40 Jahren hat das Oberlandesgericht Celle im Fall der 17-jährigen getöteten Frederike von Möhlmann die Zulässigkeit der Wiederaufnahme bestätigt. Das Gericht wies am Mittwoch die Beschwerden des damals freigesprochenen Angeklagten gegen eine Entscheidung des Landgerichts Verden zurück. Das LG hatte darin den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Wiederaufnahme des Verfahrens für zulässig erklärt und Untersuchungshaft angeordnet.

Neues DNA-Gutachten zu Spermaspur am Slip der Getöteten

Der frühere Angeklagte wird verdächtigt, Frederike von Möhlmann im Jahr 1981 vergewaltigt und getötet zu haben. Von diesem Vorwurf hatte ihn das LG Stade 1983 rechtskräftig freigesprochen. Nach einem erst im Jahr 2012 erstellten molekulargenetischen Gutachten des Landeskriminalamts Niedersachsen soll der frühere Angeklagte aber als Verursacher einer Spermaspur am Slip der Getöteten in Betracht kommen.

Neues Beweismittel zunächst wertlos

Aufgrund der Rechtskraft des Freispruchs konnte dieses neue Beweismittel zunächst nicht zulasten des früheren Angeklagten berücksichtigt werden. § 362 StPO bestimmte, dass ein rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren nur dann zuungunsten des Angeklagten wiederaufgenommen werden konnte, wenn das frühere Verfahren unter bestimmten schweren Mängeln litt oder ein freigesprochener Angeklagter die Tat zwischenzeitlich gestanden hatte.

Beweismittel kann nach Neuregelung berücksichtigt werden

2021 wurden diese Wiederaufnahmemöglichkeiten durch den Gesetzgeber erweitert. Nach dem neu eingefügten § 362 Nr. 5 StPO kommt eine Wiederaufnahme jetzt auch bei neuen Tatsachen oder Beweismitteln in Betracht, nach denen eine Verurteilung wegen Mordes oder anderer unverjährbarer schwerster Straftaten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Diese Neuregelung war sowohl rechtspolitischen als auch verfassungsrechtlichen Angriffen ausgesetzt.

OLG Celle hält Neuregelung für verfassungsgemäß

Das OLG Celle hat die Beschwerden gegen die Entscheidung des LG Verden jetzt zurückgewiesen. Der Senat hält die gesetzliche Neuregelung für verfassungsgemäß. Sie verstoße insbesondere nicht gegen das in Art. 103 Abs. 3 GG gewährleistete Verbot der strafrechtlichen Doppelverfolgung. Sie gelte nur für äußerst eng umgrenzte Fallkonstellationen und sehe hohe Hürden für eine Wiederaufnahme vor. Die Entscheidung des Gesetzgebers, für derartige Ausnahmefälle trotz eines vorangegangenen Freispruchs eine schuldangemessene Bestrafung zu ermöglichen, sei vertretbar und durch das Rechtsstaatsgebot gerechtfertigt. Auch das im Grundgesetz verankerte allgemeine Rückwirkungsverbot hält der Senat nicht für verletzt.

OLG bejaht dringende Gründe für Verurteilung wegen Mordes

In dem konkreten Fall bestünden unter Berücksichtigung des nunmehr vorliegenden DNA-Gutachtens dringende Gründe für eine Verurteilung wegen Mordes. Damit lägen die Voraussetzungen des neuen Wiederaufnahmegrundes in § 362 Nr. 5 StPO vor. Der Senat habe daher auch die vom LG angeordnete Untersuchungshaft aufrechterhalten. Bei dem Beschwerdeführer liege der besondere Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO vor.

Verfassungsbeschwerde hätte keine aufschiebende Wirkung

Dieser Beschluss könne nicht mit einem strafprozessualen Rechtsmittel angegriffen werden. Eine mögliche Verfassungsbeschwerde des früheren Angeklagten hätte vorbehaltlich einer abweichenden Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht keine aufschiebende Wirkung.

LG muss nun über Begründetheit des Wiederaufnahmeantrags befinden

Nach der Entscheidung des OLG muss das LG Verden jetzt über die Begründetheit des Wiederaufnahmeantrags der Staatsanwaltschaft entscheiden. Da der frühere Angeklagte zum damaligen Zeitpunkt noch keine ausreichende Gelegenheit hatte, hierzu Stellung zu nehmen, hatte das LG zunächst nur summarisch geprüft, ob das jetzt vorliegende DNA-Gutachten dringende Gründe für die Verurteilung wegen Mordes bietet. Für den Fall der Wiederaufnahme des Verfahrens ist eine erneute Hauptverhandlung erforderlich. Diese dient der Klärung, ob die erhobenen Vorwürfe zutreffen. Für den früheren Angeklagten gilt bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung.

OLG Celle, Beschluss vom 20.04.2022 - 2 Ws 62/22

Redaktion beck-aktuell, 20. April 2022.