OLG Celle: Auch bei ärztlicher Kollegin muss Basisdiagnostik durchgeführt werden

Ein Arzt muss als extrem schmerzgeplagter Patient die eigene Krankengeschichte dem aufgesuchten Behandler nicht selbstständig schildern. Deswegen unterbliebene Untersuchungen können einen schweren Behandlungsfehler darstellen. Dies geht aus einer am 04.04.2019 veröffentlichten Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle hervor. Über die Höhe eines Schmerzensgeld- und Schadensersatzanspruchs der Patientin muss im zugrundeliegenden Fall das Landgericht im weiteren Verfahren entscheiden.

Körperliche Untersuchungen der Patientin nicht dokumentiert

Im zugrundeliegenden Fall stellte sich eine als niedergelassene Frauenärztin tätige Patientin nach vorheriger telefonischer Ankündigung wegen akuter und extremer Kopfschmerzen notfallmäßig in der Privatsprechstunde des sie bereits seit einigen Jahren behandelnden Internisten vor. Da der Internist selbst verhindert war, übernahm dessen Vertreter die Behandlung. Nach einer Untersuchung des Kopfs mittels Computertomographie (CT), die einen altersgerechten Normalzustand ergab, empfahl der Internist die Einnahme von Ibuprofen gegen die Schmerzen und entließ die Patientin nach Hause. Dass eine körperliche Untersuchung der Patientin stattgefunden hat, war in den Krankenunterlagen des Internisten nicht dokumentiert.

Mit Hirnvenenverschluss in Klinik gebracht

Noch am selben Tag wurde die Patientin abends mit Verdacht auf einen Krampfanfall im Gehirn per Rettungswagen in eine Klinik gebracht. Dort wurde aufgrund durchgeführter Untersuchungen bei der Patientin ein Hirnvenenverschluss (Sinusvenenthrombose) festgestellt. Wegen der behaupteten Folgen des festgestellten Krankheitsbildes hat die Patientin unter anderem den behandelnden Internisten auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz in Anspruch genommen.

LG ging von grobem Behandlungsfehler aus

Das LG Hannover hat die Klage mit Urteil vom 04.06.2018 (Az.: 19 O 286/13) als dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stelle es einen groben Behandlungsfehler dar, dass der Internist über die Computertomographie hinaus keine weiteren Untersuchungen der Patientin durchgeführt habe.

Vollständige Anamnese ohne Nachfrage konnte von Patientin nicht erwartet werden

Auf die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat der Erste Zivilsenat des OLG die Entscheidung hinsichtlich der Haftung des Internisten jetzt bestätigt. Aufgrund der von der Patientin beschriebenen extrem starken Kopfschmerzen sei nach dem medizinischen Standard – über die Computertomographie hinaus – eine klinische Untersuchung durchzuführen gewesen, die eine klinische Basisdiagnostik und die Erhebung eines groben neurologischen Status umfasst hätte, um danach zu entscheiden, ob und welche weitere Diagnostik gegebenenfalls erforderlich sei. Von der Patientin, die zwar selbst Ärztin sei, aber extrem schmerzgeplagt war, könne nicht erwartet werden, dass sie dem behandelnden Internisten ohne Nachfragen eine vollständige Anamnese liefere. Es sei und bleibe Aufgabe des behandelnden Arztes, entsprechend präzise Fragen zu stellen.

Fehlende Untersuchung nicht nachvollziehbar

Aus medizinischer Sicht sei es schlichtweg nicht mehr verständlich, dass die gebotene Diagnostik durch den behandelnden Internisten unterblieben sei, erst recht nachdem das Ergebnis der Computertomographie unauffällig war und keine Erklärung für die von der Patientin so noch nicht erlebten Kopfschmerzen bot. Deshalb liege ein grober Behandlungsfehler vor, der eine Umkehr der Beweislast bewirke. Es sei dem insoweit beweisbelasteten Internisten aber nicht gelungen, den Beweis dafür führen, dass der Eintritt des Primärschadens aufgrund des Behandlungsfehlers gänzlich unwahrscheinlich sei, weshalb er der Patientin auf Schmerzensgeld und Schadensersatz hafte. Die Entscheidung des OLG ist noch nicht rechtkräftig.

OLG Celle

Redaktion beck-aktuell, 5. April 2019.

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