Ein Rechtsanwalt vertrat zwei Gläubigerinnen in einem Insolvenzverfahren. Nachdem er den Eindruck gewonnen hatte, dass der Insolvenzmasse Vermögensteile vorenthalten werden und der vorläufige Gläubigerausschuss seiner Ansicht nach nicht ordentlich arbeitete, strebte er an, in der nächsten Gläubigerversammlung den Ausschuss neu zu besetzen. Dafür benötigte er aber mehr Stimmrechte, deshalb nahm er Kontakt zu weiteren Gläubigern auf. Zwei Gläubiger gaben ihm eine Vollmacht zur "Vertretung in Gläubigerversammlungen im Insolvenzverfahren über das Vermögen der [Schuldnerin]". Bezahlen mussten sie den Anwalt dafür nicht, weil er bereits von seinen ersten beiden Gläubigerinnen vergütet wurde. Beide Nachzügler gingen davon aus, dass er ihre Interessen in vollem Umfang vertreten werde. Ihre Erwartung wurde bitter enttäuscht: Nachdem der Anwalt die teilweise Neubesetzung des Gläubigerausschusses erreicht hatte, bestritt er im Prüfungsteil die Forderungen der "Neumandanten" wegen fehlender Schlüssigkeit. Ohne diesen Einsatz wären die Ansprüche einfach in die Tabelle eingetragen worden.
Das AG Hildesheim verurteilte den Rechtsanwalt deshalb wegen Parteiverrats nach § 356 StGB zu einer Geldstrafe. In der Berufung erreichte der Angeklagte nur eine Reduktion der Tagessatzhöhe und erhob deshalb die Revision zum OLG Celle.
Einseitige Beweiswürdigung
Seine Sachrüge hatte Erfolg: Das OLG (Beschluss vom 02.10.2024 – 3 ORs 18/24) hob das Urteil auf und verwies die Sache zurück. Nach Ansicht der Celler Richterinnen und Richter offenbarte das Urteil einen gravierenden Mangel in der Beweiswürdigung. Das LG habe nicht alle Umstände des Falls gewürdigt, insbesondere habe es nur die Sichtweise der Gläubiger zugrunde gelegt. Für die Beschränkung der Neumandate spreche aber zum einen, dass der Anwalt keinen Vergütungsanspruch geltend machte und dass er vor der Mandatierung nicht geprüft habe, ob deren Forderungen überhaupt durchsetzbar waren. Auch die E-Mails zur Anbahnung des Mandats ließen erkennen, dass es ihm lediglich um die Stimmrechte zur Neubesetzung des Gläubigerausschusses gegangen war.
Diese Indizien seien nicht in die Beweiswürdigung eingestellt worden, monierte das OLG. Die Urteilsgründe müssten aber deutlich machen, dass das Tatgericht alle erheblichen Beweistatsachen bewertet habe. Deshalb müsse das LG Hildesheim die Sache erneut verhandeln.
Für die Neuverhandlung gab das OLG noch einen Hinweis: Sollte das Gericht eine nur eingeschränkte Mandatierung annehmen, müsse es prüfen, ob das Bestreiten der Forderungen trotzdem ein pflichtwidriges Dienen im Sinne des § 356 Abs. 1 StGB war. Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 InsO seien die Stimmrechte an unbestrittene Forderungen gekoppelt. Das Bestreiten hätte somit Auswirkungen auf den Bestand der Stimmrechte haben können, deren Ausübung – in dieser Variante – der Anwalt übernommen hatte. Der Senat führte insoweit aus: "Dieser Zusammenhang könnte – auch aus Sicht des Angeklagten – eine Verknüpfung der Themen des Berichts- und des Prüfungstermins bewirkt haben, die den Angeklagten selbst im Falle der Annahme einer Beschränkung seines Auftrags auf den Berichtsteil dazu verpflichtet hätte, den Gläubigern K. und J. auch nach Beendigung des Berichtsteils und des damit verbundenen Auftrags weiterhin zum Erhalt ihrer Stimmrechte zu dienen."
Eine Rechtfertigung aufgrund einer Pflichtenkollision wäre in beiden Varianten aber nach Ansicht des OLG ausgeschlossen, denn der Anwalt hätte bei einer Interessenkollision standesrechtlich alle Mandate in der Insolvenzsache niederlegen müssen.