Nichtöffentliche Strafverhandlung: Zulassung von Zuschauern muss beanstandet werden

Lässt das Gericht zu einer Jugendgerichtsverhandlung gegen den Willen einer minderjährigen Angeklagten Zuschauer zu – hier zwei Polizisten – muss das gerügt werden. Das OLG Celle entschied in einem obiter dictum entgegen der herrschenden Meinung, dass die Verfahrensrüge ansonsten präkludiert ist.

Eine zur Tatzeit Fünfzehnjährige stand wegen Diebstahls vor dem Amtsgericht Hannover. Sie wurde aufgrund eines Sicherungshaftbefehls vorgeführt, weil sie zum ersten Hauptverhandlungstermin nicht erschienen war. Vor Beginn traten zwei Polizisten auf die Vorsitzende zu und teilten ihr mit, dass gegen die Jugendliche ein Untersuchungshaftbefehl wegen Fluchtgefahr vorliege, den sie im Anschluss an den Termin vollstrecken wollten. Bis dahin wollten sie im Saal bleiben. Die Richterin hörte sich zwar die Bedenken des Verteidigers an, gab dem Anliegen der Polizeibeamten aber doch statt. Zum Schluss verurteilte sie das Mädchen zu einem zweiwöchigem Dauerarrest. Dagegen erhob die Angeklagte die Sprungrevision zum OLG Celle – ohne Erfolg.

Der Verfahrensrüge wegen der Teilnahme der Polizisten an der Hauptverhandlung erteilte das OLG (Beschluss vom 27.09.2023 – 2 ORs 82/23) eine Absage: Eine möglicherweise unzulässige Erweiterung der Öffentlichkeit im Jugendstrafverfahren stelle zunächst keinen absoluten Revisionsgrund dar. Die Celler Richterinnen und Richter verneinten in ihrer Entscheidung aber auch eine Verletzung des § 337 StPO in Verbindung mit § 48 Abs. 2 S. 3 JGG: Die Ermessensentscheidung der Jugendrichterin sei nicht zu beanstanden, weil die Anwesenheit der Polizei zur Sicherung der Festnahme des Mädchens erforderlich gewesen sei. Darin liege unzweifelhaft ein besonderer Grund im Sinn der Vorschrift.

Verteidiger hätte die Erweiterung der Öffentlichkeit beanstanden müssen

Nach Ansicht des OLG hätte der Rechtsanwalt die Zulassung der Polizeibeamten förmlich als unzulässig beanstanden müssen, § 238 Abs. 2 StPO. Die Rüge sei hier allerdings nicht präkludiert, da der Anwalt sich an der ihm bekannten Rechtslage orientiert habe: In der "gegenwärtigen Rechtsprechung und Kommentarliteratur" werde "insoweit übereinstimmend vertreten", dass es keinen Rechtsbefehl gegen die Gestattung der Anwesenheit gebe. 

Das OLG begründete seine Auffassung, der Anwendungsbereich des § 238 Abs. 2 StPO sei auch für den Fall der unzulässigen Erweiterung der Öffentlichkeit eröffnet, mit den besonderen Umständen im Jugendstrafverfahren: Der Grundsatz, wonach die Öffentlichkeit in Jugendgerichtsverfahren auszuschließen ist, sei entwicklungspsychologischen Erwägungen geschuldet. Außerdem wolle man zur Wahrheitsfindung eine jugendgerechtere Kommunikationsatmosphäre schaffen. Die Anwesenheit weiterer Personen widerspreche diesen Zielen. Sogar der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes verlange ausdrücklich (dort Rn. 65) eine Beschwerdemöglichkeit für solche Fälle.

Redaktion beck-aktuell, rw, 16. Oktober 2023.