Entschädigung für Verfahrensdauer im Komplex "Göttinger Gruppe"

Wegen unangemessener Dauer eines beim Landgericht Göttingen geführten Pilotverfahrens im Komplex "Göttinger Gruppe" erhält der Kläger eine Entschädigung von rund 6.500 Euro. Das Oberlandesgericht Braunschweig entschied am Freitag, dass die aus dem Rechtsstaatsgebot folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt wurde. Festgestellt wurde eine überlange Verfahrensdauer von rund acht Monaten.

Streit mit Anlegern um Schadensersatz

In dem der Entschädigungsklage zugrundeliegenden Ausgangsverfahren hatten Anleger Ende 2011 den Kläger auf Schadensersatz verklagt. Das Verfahren war von der zuständigen Kammer als Pilotverfahren bestimmt worden, das vorrangig gefördert und als Grundlage für weitere gleichgelagerte Verfahren herangezogen werden sollte. Im Jahr 2013 gab die zuständige Kammer ein Gutachten in Auftrag, welches der Sachverständige Ende Mai 2016 vorlegte. Erstmals im Oktober 2017 erhob der Kläger beim LG Göttingen Verzögerungsrüge, die er im Januar 2019 wiederholte. Knapp drei Jahre nach Vorlage des Gutachtens entschied die Kammer im März 2019 durch Beschluss, ein weiteres Ergänzungsgutachten einzuholen. Die Anleger nahmen ihre Klage im Oktober 2019 zurück, sodass das Ausgangsverfahren ohne Entscheidung in der Sache beendet wurde.

Kläger: Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen

Der Kläger des beim OLG geführten Entschädigungsverfahrens verlangte 11.550 Euro von dem Land Niedersachsen als Entschädigung dafür, dass das LG Göttingen das Verfahren nicht in angemessener Zeit verhandelt und abgeschlossen habe. Die Gesamtverfahrensdauer von sieben Jahren und elf Monaten sei unangemessen lang.

Erhöhte Entschädigung für Verzögerung eines Pilotverfahren

Die Kammer des LG habe das Verfahren im Verfahrensabschnitt nach Vorlage des ersten Gutachtens bis zur Entscheidung über die Einholung eines Ergänzungsgutachtens auch unter Berücksichtigung einer angemessenen Bearbeitungs- und Bedenkzeit nicht ausreichend zügig gefördert, entschied jetzt das OLG Braunschweig. Weitere von dem Kläger gerügte Verzögerungen ergäben sich hingegen nicht. Nach dem Urteil ist der Kläger für die hierdurch erlittenen immateriellen Schäden, insbesondere die nachteiligen psychologischen Auswirkungen, wie Besorgnis, Ungewissheit, aber auch Rufschädigungen, die sich aus der ungewissen Verfahrensdauer ergeben, zu entschädigen. Bei der Entschädigung habe der Senat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Regelbetrag aufgrund der herausragenden Bedeutung des verzögerten Pilotverfahrens angemessen zu erhöhen. Dabei seien die Auswirkungen auf die – vom verzögerten Pilotverfahren – abhängigen weiteren Ausgangsverfahren zu berücksichtigen. So habe es sich nicht um ein beliebiges Verfahren einer Serie gehandelt, sondern um ein Pilotverfahren mit wegweisender Bedeutung für rund 140 weitere Verfahren, die während dieser Zeit faktisch ruhten. Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Redaktion beck-aktuell, 5. November 2021.