Jüngste Berichte über Extremwetterereignisse in allen Erdteilen hätten einmal mehr deutlich vor Augen geführt, dass energische Schritte von "größter Wichtigkeit für die Erhaltung der Grundlagen eines menschenwürdigen Lebens" seien, heißt es in dem offenen Brief, den die Professorinnen und Professoren des Verfassungs- und Völkerrechts in der vergangenen Woche an die gesetzgebenden Organe des Bundes und die Bundesregierung gerichtet haben. Gleichwohl plane die Bundesregierung derzeit eine Novelle des Klimaschutzgesetzes (KSG), welche die sektorspezifischen Klimaziele aufweiche.
Die Juristinnen und Juristinnen zeigen sich alarmiert. Statt einer "Verwässerung des Klimaschutzgesetzes" fordern sie – mit Blick auf das Pariser Abkommen von 2015 und eine Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2021 – ein "effektives Klimaschutzprogramm mit ausreichenden Maßnahmen zur Einhaltung der Klimaschutzziele und damit der völker- und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen".
Deutschland zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels verpflichtet
2015 hat sich Deutschland mit der Ratifikation des Übereinkommens von Paris neben 194 weiteren Staaten völkerrechtlich zu konkreten Maßnahmen verpflichtet, um den Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu halten und Anstrengungen zu unternehmen, ihn auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Diese Verpflichtung habe das BVerfG 2021 als Konkretisierung des in Art. 20a GG verankerten Klimaschutzziels angesehen und so die Einhaltung der völkerrechtlichen Vorgaben verfassungsrechtlich abgesichert, schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrem Brief. Im KSG seien konkrete Ziele und Mechanismen festgelegt, mit denen die schrittweise Erreichung dieses Zieles gewährleistet werden solle.
Durch die geplante KSG-Novelle würden jedoch die sektorspezifischen Ziele geschwächt. Damit wiederum seien die Anforderungen des BVerfG in Gefahr, die verlangten, "dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, die für die erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln".
Neufassung des KSG sieht keine verbindlichen Sektorziele mehr vor
Die Bundesregierung hatte die Neufassung des KSG im Juni auf den Weg gebracht und ein neues Klimaschutzprogramm vorgelegt, das den Ministerien mehr Flexibilität verschaffen soll.
So sehen die Pläne vor, dass die Einhaltung der Klimaziele nicht mehr rückwirkend nach verschiedenen Sektoren wie Verkehr, Industrie oder Landwirtschaft kontrolliert werden soll, sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Die Bundesregierung als Ganzes soll künftig entscheiden, in welchem Sektor und mit welchen Maßnahmen die zulässige CO2-Gesamtmenge erreicht werden soll – das KSG sieht bis 2030 eine Reduktion um 65% aller Treibhausgase im Vergleich zu 1990 vor, bis 2040 eine Reduktion um 88% und Klimaneutralität bis 2045.
Von der Reform würden also vor allem die Ministerien profitieren, die die Sektorziele bislang nicht eingehalten haben – das ist allen voran das FDP-geführte Verkehrsministerium.
Laut Bundesregierung bleiben die Klimaziele durch die Novelle zwar unverändert – durch die Reform dürfe nicht eine Tonne mehr CO2 ausgestoßen werden als mit dem bisherigen Gesetz, hieß es bei der Vorstellung der Pläne im Juni.
Zahlreiche Umweltverbände und zuletzt auch eine Klimafachgruppe innerhalb der SPD haben aber bereits vor einer Abschwächung des KSG gewarnt. Kritisiert wird vor allem, dass sich einzelne Ministerien durch die geplante Abschaffung der verbindlichen Sektorziele aus der Verantwortung ziehen könnten und bei Zielverfehlungen erst später nachgesteuert werden müsse. So müssen künftig erst dann Schritte unternommen werden, wenn die Daten in zwei aufeinanderfolgenden Jahren zeigen, dass mit den aggregierten Jahresemissionen bis zum Jahr 2030 das Gesamtminderungsziel nicht erreicht wird.
"Das KSG muss sicherstellen, dass in Zukunft noch etwas vom CO2-Budget übrig ist"
Auch die Juristinnen und Juristen, die den offenen Brief unterzeichnet haben, gehen davon aus, dass das Klimaschutzgesetz durch die Novelle abgeschwächt wird. Und dass das auch juristische Konsequenzen haben kann. Wenn Deutschland seine Klimaziele infolge der Gesetzesänderung tatsächlich nicht (mehr) einhält, würde es – so die Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtler – gegen seine verfassungs- und völkerrechtlichen Verpflichtungen verstoßen.
"Wenn nicht mehr klare Ziele für jeden einzelnen Bereich – z.B. Verkehr, Industrie, Gebäude, Landwirtschaft – festgelegt werden, steigt die Gefahr, dass wir insgesamt unser Emissionsbudget überschreiten", erklärte Nora Makard gegenüber beck-aktuell. Die Professorin für Internationales Öffentliches Recht und Internationalen Menschenrechtsschutz an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster war eine der Erstunterzeichnerinnen des Briefs, dem sich seitdem zahlreiche weitere Juraprofessorinnen und -professoren angeschlossen haben. Markard stellt sich angesichts der geplanten Novellierung die Frage: "Wenn in jedem Sektor Spiel drin ist, wer passt dann auf, dass es insgesamt nicht zu viel wird?"
"Das Klimaschutzgesetz muss, das hat das BVerfG klar gemacht, sicherstellen, dass wir nicht jetzt so viel von unserem Budget emittieren, dass in Zukunft kaum noch etwas übrig ist", erläutert die Rechtslehrerin. "Denn das hätte zur Folge, dass unsere Kinder ihren Freiheitsgebrauch massiv einschränken müssten, um das völkerrechtlich und europarechtlich verbindliche 1,5-Grad-Ziel oder auch nur das 2-Grad-Ziel noch einhalten zu können. Das wäre mit dem Gebot des intertemporalen Freiheitsschutzes nicht vereinbar."